Neue Strafen, alte Denkzettel

27.10.2000 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Veröffentlicht in: Freitag, 27.10.2000: Herta Däubler-Gmelin hat viel Neuland betreten und erspäht sogar dort noch die Fußstapfen ihrer Vorgänger

Angesichts des Erfolges, mit dem in den letzten Jahren "Law and Order" in den Mittelpunkt von Wahlkämpfen gerückt wurde, und eingedenk der landläufigen Vorstellung, was Gesetzesform habe, gehe schon in Ordnung, ist erstaunlich, dass das Bundesjustizministerium innerhalb des Kabinetts traditionell eher ein Schattendasein fristet. Herta Däubler-Gmelin hat von Anfang an versucht, die Position ihres Ministeriums in der Öffentlichkeit zu stärken - und sich deswegen viel vorgenommen: Eine Justizreform, die im ersten Schritt das Zivilverfahren neu strukturiert, danach das Verwaltungsgerichtsverfahren und den Strafprozess den neuen Effizienzerfordernissen anpasst. Parallel dazu sind eine Reihe von Einzelgesetzen auf den Weg gebracht worden, die so brisante Fragen regeln wie biotechnologischen Patentschutz, Mietrecht, gleichgeschlechtliche Partnerschaft, Gewalt in der Familie oder das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten. Ambitionierte Vorhaben, mit denen Däubler-Gmelin teilweise rechtspolitisches Neuland betreten hat, teilweise aber auch nur dort weitermacht, wo ihre glücklosen Vorgänger Klaus Kinkel oder Edzard Schmidt-Jortzig aufgeben mussten. Aber sie haben viel Kritik auf sich gezogen und sind deswegen überwiegend ins Stocken geraten.

In gewisser Weise charakteristisch für die Arbeit der sozialdemokratischen Justizministerin sind ihre Vorstöße zur Reform des Straf- und Strafprozessrechts. Mit der noch von Schmidt-Jortzig eingerichteten Sachverständigen-Kommission zur Reform des Sanktionensystems im Rücken trat die Ministerin schon bald nach Amtsantritt mit Vorschlägen für neue Strafen hervor. Vor allem die Idee, das Fahrverbot, das heute schon bei Straßenverkehrsdelikten verhängt werden kann, zur Generalstrafe für Delikte aller Art zu machen, weil es eine enorme Denkzettel-Funktion haben soll, sicherte ihr ein erhebliches Maß an Aufmerksamkeit. Aber auch Ideen wie das Strafgeld, das vor Ort z. B. bei Ladendiebstahl verhängt werden soll, machten Furore. Seitdem die Experten im März 2000 ihren Abschlussbericht vorlegten, ist es allerdings wieder stiller um das Thema geworden.

Lediglich eine Initiative ist vom Bundesjustizministerium in Windeseile durchgesetzt worden: der Täter-Opfer-Ausgleich, der bei Straftaten auch der mittleren Kriminalität Straffreiheit ermöglicht, wenn es zu einem Ausgleich zwischen Schädiger und Geschädigter gekommen ist, wurde in der Strafprozessordnung verankert. Die neue Vorschrift, von Däubler-Gmelin als Meilenstein gerühmt, hat allerdings keine der offenen Fragen, die sich in der Praxis ergeben hatten, gelöst: Weder regelt sie ein Zeugnisverweigerungsrecht für die Vermittler des Täter-Opfer-Ausgleichs, noch schreibt sie vor, was im Fall eines Scheiterns der Aussöhnung geschehen soll oder welche Möglichkeiten der Täter hat, wenn das Opfer sich nicht mit ihm aussöhnen möchte. Die Fachliteratur nahm die neue Vorschrift wenig gnädig auf, in der Praxis hat sie bislang keine messbare Wirkung entfaltet. Das ist zwar nicht das Schlechteste, was man über eine neue Regelung sagen kann, aber es ist auch kein Fortschritt.

Zu dieser eher bescheidenen Bilanz passt auch, dass ein Vorschlag, der die Debatte über neue Strafen seit vielen Jahren begleitet, von der Ministerin überhaupt nicht aufgegriffen wurde: der so genannte Schuldinterlokut, bei dem, wie in vielen anderen Staaten üblich, die Verhandlung über das Strafmaß von der Verhandlung über die Schuld abgetrennt wird. Damit hätten auch Angeklagte, die ihre Täterschaft bestreiten oder es vorziehen, von ihrem Schweigerecht Gebrauch zu machen, die Möglichkeit, wichtige Gründe für die Bemessung der Strafe einfließen zu lassen, die heute unerwähnt bleiben.

Stattdessen hat Däubler-Gmelin Vorarbeiten für eine Reform der Rechtsmittel im Strafprozess erledigen lassen - ganz in der Tradition der Verfahrensbeschleunigungs- und Justizentlastungsgesetze der letzten drei Jahrzehnte, die die Handlungsmöglichkeiten von Beschuldigten Schritt für Schritt beschnitten haben. Im Zentrum des vom Deutschen Richterbundes erarbeiteten Reformkonzepts steht dabei die Abschaffung bzw. sehr weitgehende Einschränkung der zweiten Tatsachen-, also der Berufungsinstanz. Dass die Verteidigerseite hier nicht um ein eigenes Gutachten gebeten wurden, ist dabei wenigstens bemerkenswert. Im Ergebnis hätte die Umsetzung der Vorschläge des Richterbundes zur Konsequenz, dass bei Verfahren, die von den Amtsgerichten, also zumeist von Einzelrichtern, entschieden würden, nicht mehr wie bisher eine Landgerichtskammer in der zweiten Instanz feststellen kann, inwieweit die tatsächlichen Ereignisse zutreffend aufgeklärt und gewürdigt worden sind. Menschen, die sich zu Unrecht verurteilt sähen - über das Willkürpotenzial in Amtsgerichtsverfahren hat der Hamburger Rechtsaußen Schill mit seinen Richtersprüchen eindrucksvoll Zeugnis abgelegt - bliebe dann allenfalls, Rechtsfehler zu rügen, was schwieriger ist und den Problemen in den Amtsgerichtsverfahren oft nicht gerecht würde. Damit einher geht eine faktische Verkürzung des Rechtsweges, die insbesondere im Zusammenspiel mit anderen strafprozessualen Erweiterungen der letzten Jahre - wie das "beschleunigte Verfahren" und die sogenannte Hauptverhandlungshaft - erhebliche Verschlechterungen der Position der Beschuldigten bedeuten würde. Dabei haben Untersuchungen, die vom Bundesjustizministerium in Auftrag gegeben wurden, gezeigt, dass die Existenz zweier Tatsacheninstanzen die Justiz nur schwach belastet.

Derzeit zeichnet sich nicht ab, dass die Strafrechtsreform noch in dieser Legislaturperiode verwirklicht werden könnte. Aber bemerkenswert ist schon, in welche Richtung die Überlegungen und Vorhaben gehen. In der gegenwärtigen Debatte um die gesellschaftliche Bedeutung des Strafrechts lassen sich eine "law and order"-Fraktion und die Anhänger der "rule of law" unterscheiden, die gerade den nicht-öffentlichen Raum von Individuen schützen und nicht willens sind, Straftatenaufklärung um jeden Preis betreiben zu lassen. Die Justizministerin, die weitaus eher eine Liberale ist als eine Hardlinerin, hat sich mit ihren Vorhaben gleichwohl auf dem Terrain der Verfechter einer möglichst effizienten Strafrechtspflege positioniert. Statt die zahllosen Beschleunigungs- und Justizentlastungsgesetze zu stornieren und zu überlegen, wie die Stellung des nach und nach in die Bredouille gebrachten Beschuldigten wieder verbessert werden kann, hat sie nur die Richtung des Zuges leicht korrigiert, das Tempo der Fahrt dafür aber spürbar erhöht. Einen klaren Gegenkurs zu den herrschenden Trends, die ein scharfes, schnelles Strafrecht fordern, war sie nicht bereit zu steuern.

Die Folgen dieser halbherzigen Politik sind fatal, weil sie die Demontage der Stützpfeiler des ohnedies stark beeinträchtigten Rechtssystems weiter betreiben. Dass dies nicht in dem Tempo geschehen wird, das Herta Däubler-Gmelin recht wäre, weil die Lobby der vergleichsweise einfluss reichen Juristen hier größtenteils bremsend wirkt, ist nur ein schwacher Trost. Die Halbzeit dieser Legislaturperiode ist nicht notwendigerweise die Halbzeit für die Koalition - und selbst wenn: Eine CDU-geführte Regierung würde kaum mehr Raum für ein freiheitliches Rechtsstaatsverständnis bieten.

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