Pinochets Niederlage in London

15.10.1999 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Internationales Recht

Veröffentlicht in: Freitag, 15.10.1999

Ein Teilerfolg - kein Durchbruch für das internationale Strafrecht

Dieses Urteil ist ein Tribut an die gewaltigen Veränderungen, die sich im internationalen Recht im letzten Jahr vollzogen haben", kommentiert Amnesty International den Spruch des Londoner Magistratsrichters Ronald Bartle, der das spanische Begehren, Pinochet auszuliefern, als rechtmäßig bewertet. "Folter ist künftig kein politisches Vergehen mehr, das von Politikern und Diplomaten verhandelt wird, sondern ein Verbrechen, für das die Instanzen des Rechts zuständig sind, das vor den ordentlichen Gerichten anzuklagen ist." Auch andere Menschenrechts-Gruppierungen feierten die Entscheidung vom 8. Oktober enthusiastisch als Durchbruch. Vor allem die Bemerkung des Richters, dass "es künftig ein Recht für eine Welt" geben wird, stieß auf nachhaltige Zustimmung. Tatsächlich ist die Gerichtsentscheidung eine bemerkenswerte Niederlage Pinochets. Doch ging es in diesem Verfahren noch nicht um seine strafrechtliche Verantwortung, sondern nur darum, ob die Voraussetzungen für eine Auslieferung nach Spanien gegeben sind. Das Londoner Magistratsgericht durfte und musste keine Beweise erheben - es hatte lediglich zu prüfen, ob das spanische Auslieferungsbegehren den Anforderungen genügt, die nach britischem und internationalem Recht - vor allem nach dem Europäischen Auslieferungsabkommen - erfüllt sein müssen. Umstritten war, ob Spanien Pinochet nach dem ersten Auslieferungsantrag im Verlauf des weiteren Verfahrens weitere Delikte vorwerfen durfte. Außerdem war die Frage zu beantworten, ob die Anti-Folter-Konvention auch das Verschwindenlassen von Oppositionellen er fasst. Denn nur so konnte Pinochets Strafbarkeit nach britischem Recht begründet werden. Richter Bartle - als Rechtsaußen bekannt und Mitglied der ultrakonservativen Royal Society of St. George, deren Vizepräsidentin Margret Thatcher ist, die sich so vehement für Pinochet als "wahrem Freund der Briten" einsetzt - hat dem Auslieferungsbegehren Spaniens in seiner mit Zitaten aus höchstrichterlichen Entscheidungen in anderen Auslieferungsverfahren gut abgesicherten Entscheidung in allen Punkten stattgegeben: Somit bleibt Pinochets hochkarätiger Verteidiger-Riege zwar immer noch die Möglichkeit, durch die Revision beim High Court und anschließend den Law-Lords die Auslieferung hinauszuzögern - dass die oberen Instanzen anders entscheiden, ist allerdings unwahrscheinlich.

Auch dass Innenminister Jack Straw, dem die letzte Entscheidung über die Auslieferung obliegt, sich zugunsten des einstigen Diktators aussprechen wird, ist nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht anzunehmen: Allein eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des 83-jährigen kann ihn beim Stand der Dinge noch vor einem spanischen Gericht bewahren. Trotzdem erscheint zweifelhaft, ob der Londoner Rich terspruch auch den erwünschten großen Triumph der Menschenrechte darstellt. Zum einen ist die klare Entscheidung des Londoner Richters zu einem erheblichen Teil den Bestimmungen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 zuzurechnen, das, durch etliche Zusatzübereinkommen und Protokolle ergänzt, bislang eher im Focus der Kritik von Bürgerrechtsgruppen stand - und gegen das gerade liberalere Staaten wie Norwegen - sehr zum Ärger beispielsweise der Bundesrepublik - einige Vorbehalte getätigt haben, die zuletzt im Verfahren gegen die in Norwegen festgenommene Palästinenserin Souhaila Andrawes Wirkung entfalteten. Um das Ziel, nämlich eine reibungslose und schnelle Auslieferung von mutmaßlichen Straftätern erreichen zu können, ist seinerzeit auf eine Vielzahl von Verfahrensgarantien verzichtet worden, die dem Schutz von Angeklagten dienten und den unterschiedlichen politischen Verhältnissen in den Ländern Rechnung trügen: Wenn es nicht erforderlich ist, dass der Staat, der eine Auslieferung beantragt, auch Beweise dafür erbringt, dass die Straftaten tatsächlich von dem Auszuliefernden begangen wurden, ist das eine dieser rechtlich durchaus fragwürdigen Beschleunigungsmaßnahmen, die jetzt auch im Pinochet-Verfahren eine Rolle spielten.

Bedenklich ist auch, dass jetzt allseits betont wird, die Auslieferung Pinochets dokumentiere den Triumph des Rechts über die Politik: Auslieferungsrecht ist politisches Recht, wie sich schon daran zeigt, dass das letzte Wort nicht ein Gericht, sondern ein Minister spricht. Das Pinochet-Verfahren ist überdies so weit gediehen, weil es einen ungewöhnlich engagierten spanischen Untersuchungsrichter (Baltasar Garzón) gibt, aber auch, weil Pinochet heute keine Funktion mehr hat. Und Chile ist zwar ein wichtiger, aber kein besonders mächtiger Staat, der seine Interessen deshalb nur schwer geltend machen kann. Obwohl die USA gerade über 1.000 bislang geheime Dokumente veröffentlicht haben, die belegen, wie die CIA sowohl an der Destabilisierung der Allende-Regierung als auch an den Verbrechen der Junta beteiligt war, müssen beispielsweise US-Offizielle nicht mit Verfahren wegen des Verstoßes gegen die Anti-Folter-Konvention rechnen. So wie die als "humanitäre Interventionen" kategorisierten neuen Kriege vorzugsweise dort geführt werden, wo virulente Interessen vorhanden sind, besteht die Gefahr, dass das Internationale Strafrecht auch künftig nur sehr selektiv als Waffe gegen gravierende Verletzungen der Menschenrechte eingesetzt wird.

Insofern sollten die Auseinandersetzungen um Pinochet eher ein Anlass sein, sich kritisch mit dem internationalen Strafrecht auseinander zu setzen, als unreflektiert dessen Erfolge zu rühmen. Viel mehr noch als im nationalen Recht gilt hier, dass die Politik - gerade auch die der interessenreichen, großen Mächte - im Vordergrund stehen muss, um Verletzung von Menschenrechten zu verhindern. Das internationale Strafrecht muss als ultima ratio den außergewöhnlich schweren Fällen und dort den wichtigsten Tätern vorbehalten bleiben. Als allgemeines Instrument zur Regulierung der politischen Verhältnisse in der Welt taugt es nämlich nicht.

Dateien:

Logo Adobe PDF

1153409657.pdf(PDF Dokument, 9,50 Ki Größe)

 

Zurück zur Übersicht