Präsident Bush und die Militär Tribunale

05.12.2001 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Internationales Recht

Ein bißchen Cicero, viel Abraham Lincoln

Veröffentlicht in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. 12.2001

Der Vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofes der USA, William H. Rehnquist, hat sich bislang nicht als liberaler Streiter für die Bürgerrechte einen Namen gemacht. Allerdings hat er, Ende der Neunziger Jahre, eine kritische Auseinandersetzung mit der Beschneidung von Freiheitsrechten in Kriegszeiten veröffentlicht: "All the Laws but one" lautet der Titel seiner Studie und nimmt damit Bezug auf eine Rede Abrahams Lincolns. Zu Beginn des Bürgerkriegs wollte der damalige US-Präsident die im Habeas Corpus enthaltene Garantie einer Prüfung jedes Haftbefehls innerhalb von 24 Stunden vor einem ordentlichen Gericht suspendieren. In der Sondersitzung des Kongresses am 4. Juli 1861 hielt er seinen Kritikern entgegen: "Wollen wir hinnehmen, dass kein Gesetz mehr umgesetzt werden kann, ausser diesem einen und dass die Regierung selbst zerbricht, nur damit dieses eine Recht nicht verletzt wird?"

Rehnquist hat, weil hier die rechtspolitischen und dogmatischen Konflikte zwischen Kriegs- und Bürgerrechten erstmals und so klar zu Tage traten, wie danach nicht wieder, den amerikanischen Bürgerkrieg in den Mittelpunkt seiner verfassungsgeschichtlichen Untersuchung gerückt. Nach Präsident Bushs Verfügung zur Schaffung von Militärgerichten für Nicht-US-Staatsbürger liest sich das historisch konzipierte Werk jedoch unversehens wie eine aktuelle rechtspolitische Standortbestimmung. Rehnquist war es, als er sich ans Werk machte, ersichtlich ein Anliegen zu zeigen, wie ausgerechnet Abraham Lincoln, der sonst eher als Liberaler wahrgenommen wird, in seiner Auseinandersetzung mit den Südstaaten bemüht war durch Einsetzung von Militärgerichten den Rücken in den Staaten der Union für die militärische Auseinandersetzung frei zu halten. Dabei erlitt er vor Gericht allerdings eine schwere Niederlage. Der Vorsitzende Richter des Obersten Gerichtshofes Roger B. Taney entschied im Verfahren gegen den Farmer John Merryman, der an den Aufständen gegen die Union in Baltimore teilgenommen hatte und in einer Miliz organisiert war, dass kein Zivilist von einem Soldaten unter Ungehung der Habeas Corpus-Garantien festgehalten werden darf. Die Entscheidung des konservativen Richters Taney, der kurz zuvor in einem Verfahren noch vertreten hatte, dass Schwarze keinerlei Bürgerrechte beanspruchen können, bildete auch die rechtliche Basis für den fünf Jahre später vom Obersten Gerichtshof in Milligan ausformulierten Grundsatz, daß auch in Kriegszeiten Militärgerichte grundsätzlich nicht über Zivilisten urteilen dürfen, wenn noch ordentliche Gerichte ungehindert verhandeln können. Nur vor ordentlichen Gerichten mit ihren Jurys könne nämlich, das in der Verfassung vebriefte faire Verfahren stattfinden:"Die Verfassung der Vereinigten Staaten ist Gesetz für die Regierenden und für das Volk, sie gilt in Kriegszeiten gleichermaßen, wie im Frieden und sie schützt alle Menschen zu allen Zeiten und unter allen Umständen."

Erst ein dreiviertel Jahrhundert später, unter dem Präsidenten des "New Deal" Franklin D. Roosevelt, wurde diese Rechtsprechung in dem Verfahren um acht deutsche Saboteure, aufgehoben, die 1941 vom FBI gefasst und von denen sechs vor einem Militärgericht zum Tode verurteilt worden waren. Der Oberste Gerichtshof, an den sich die Verurteilten wandten, entschied, dass gegen die Deutschen ein Militärgericht ohne Jury verhandeln durfte, weil sie als Spione wegen Verstößen gegen das Kriegsrecht angeklagt waren.

Im Zweiten Weltkrieg hatte sich der US-Präsident allerdings sowohl auf eine Erklärung des Kriegszustandes durch den Kongreß, als auch auf einen Kongreßbeschluss zur Einrichtung von Militärtribunalen, stützen können. Der "Militärbefehl über Festnahme, Behandlung und Verfahren gegen bestimmte Nicht-Staatsbürger im Krieg gegen Terrorismus" vom 13. November 2001, bei dessen Erlaß sich Bush auch auf entsprechende Maßnahmen Präsident Roosevelts wärend des Zweiten Weltkriegs berief, ist dagegen von George Bush ohne diese Rückendeckung ausgegeben worden: "Ich muß diese außergewöhnliche Maßnahme als Option selbst in der Hand haben." erläuterte er. Bush Verweis auf die Maßnahmen Anfang der 40er Jahre geht aber nicht nur fehl, weil der "Krieg gegen den Terrorismus" wenig mit dem Zweiten Weltkrieg gemein hat und erhebliche Zweifel angebracht sind, ob das Bestreben organisierte Terrorakte zu ahnden und weitere Anschläge zu verhindern überhaupt sinnvollerweise als "Krieg" zu qualifizieren ist.

Wichtiger erscheint noch, dass sich das Recht seit dem Ende des Zweiten Weltkrieg in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt hat. Selbst wenn man mit US-Präsident Bush davon ausgeht, dass sich die USA heute im Kriegszustand befinden, sind mit der 3.Genfer Konvention über Kriegsgefangene und mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte internationale Vertragswerke geschaffen und auch von den USA ratifiziert worden, die grundlegende und weitreichende Verfahrens-Rechte für Angeklagte sichern. Dazu gehören beispielsweise die Unabhängigkeit des Gerichts, Öffentlichkeit der Verhandlung, die Gleichbehandlung von Angeklagten, die Möglichkeit, eine Verhaftung unverzüglich durch ein ordentliches Gericht überprüfen zu lassen, die freie Wahl eines Verteidigers, die Möglichkeit ein Urteil durch ein Gericht höherer Instanz überprüfen zu lassen, die Möglichkeit an Belastungszeugen Fragen zu stellen und ausreichend Zeit und Möglichkeit zu haben, seine Verteidigung vorzubereiten. Da Präsident Bushs Direktive sich ausdrücklich gegen Nicht-Staatsbürger richtet, und er zudem in seiner Verfügung dem Verteidigungsminister ausdrücklich freie Hand bei der Gestaltung der Verfahrensordnung und der Zusammensetzung der Militärgerichte gegeben hat, ist die Einhaltung dieser Garantien keineswegs gewährleistet.

Schon die Behandlung der über tausend seit dem 11.September festgenommenen Ausländer, die zum Teil seit vielen Jahren in den USA gelebt haben, hat scharfe Kritik von Menschenrechtsorganisationen und Bürgerrechtsgruppen nach sich gezogen, weil in etlichen Fällen, ohne daß bisher schon Militärgerichte etabliert worden wären, den Inhaftierten der Kontakt zu Anwälten erschwert oder unmöglich gemacht wurde und sie auch nicht innerhalb von 24 Stunden Haftprüfungstermine durchsetzen konnten.

Die knappe Bestimmung, die sich in der Präsidenten-Verfügung mit der Zulässigkeit von Beweismitteln befasst, signalisiert ebenfalls unmißverständlich, dass die Verfahrensstandards so flexibel sein sollen, dass sie die Verurteilung der Angeklagten erleichtern. Zugelassen werden sollen beispielsweise alle Beweismittel, die "nach Auffassung des vorsitzenden Offiziers von einer verständigen Person als beweiskräftig beurteilt werden könnten." Die Yale-Professorin Ruth Wedgwood, die vor ihrer Berufung Bundes-Staatsanwältin war und die jetzt den Außenminister in Fragen des internationalen Rechts berät, befürwortet diese Absage an die Beweisregeln des normalen Strafverfahrens, da sonst die Gefahr bestehe, dass viele aussagekräftige und gewichtige Beweismittel nicht zugelassen werden würden, weil es sich dabei nur um Informationen vom Hörensagen handelt. Ausserdem sei ein Problem des öffentlichen Prozesses vor einer Jury, dass auch die Planer des Terrors die Erkenntnisse beispielsweise aus Geheimdienstquellen, die dort vorgetragen und belegt werden müssten, nutzen könnten: "Wenn die Terroristen", so Wedgwood, "aber wissen, was die Anklage weiß, dann werden sie auch wissen, wie sie das herausgefunden hat und können die Quelle verstopfen." Auch Laurence H. Tribe, ein entschiedener Liberaler und maßgeblicher us-amerikanischer Verfassungsrechtler, hält in einem gerade veröffentlichten Aufsatz für "The New Republican" ein Militärtribunal, das "unsere geheimen Quellen und Methoden schüzen kann" für mindestens ebenso geeignet für die anstehenden Verfahren gegen mutmaßliche Al Quaida-Mitglieder, wie Zivilgerichte. Allerdings lehnt er den Militär-Gerichtserlaß von Präsident Bush strikt ab - vor allem wegen seiner ausufernd weiten Defintion von Terrorismus. Auch heute können allerdings unter Zuhilfenahme des "Classified Information Procedures Act" geheime Quellen und Beweismittel im ordentlichen Verfahren abgeschottet werden. Der Strafverteidiger und Harvard-Professor Alan Dershowitz akzentuiert deswegen, dass die Präsidenten-Order, die dem Staat die Einführung nahezu jedes Beweismittels gestattet, wenier einer Not folgt als vor allem eine Absage an den Grundatz eines fairen Verfahrens ist: "Informationen vom Hören-Sagen, erzwungene Geständnisse und die Ergebnisse unerlaubter Durchsuchungen und Beschlagnahmungen können ins Verfahren eingeführt werden. Einen Belastungszeugen ins Kreuzverhör zu nehmen wird dagegen nicht immer erlaubt sein und die Anklage wird ihre Quellen, aus denen sie Informationen vom Hören-Sagen bezieht nicht einmal benennen müssen."

Zwar sieht auch der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte vor, daß im Falle eines öffentlichen Notstandes, der das Leben der Nation bedroht und der amtlich verkündet worden ist, die Vertragstaaten die Mindestgarantien für Strafverfahren außer Kraft setzen können - sie sind aber verpflichtet, über den Generalsekretär der Vereinten Nationen mitzuteilen, welche Garantien wie lange außer Kraft gesetzt werden. Bislang haben die USA eine solche Information nicht gegeben.

Jenseits der Bestimmungen im einzelnen ist das Vorgehen Bushs aber auch als grundsätzliche Absage an die neueren internationalen Entwicklungen von Strafrecht und Humanitärem Völkerrecht zu verstehen. So befremdet die Behauptung, dass jetzt Militärgerichte gegen Zivilisten eingerichtet werden müssten, weil nur so ein ausreichender Schutz von Zeugen und Richtern gewährleistet werden könne. Das unter anderem auf Drängen der USA selbst durch den UN-Sicherheitsrat etablierte Internationale Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien (ICTY) beispielsweise hat, bei allen Zweifeln, die man an der Legitimität dieses nicht durch einen völkerrechtlichen Vertrag etablierten Gerichts haben kann, zumindest gezeigt, dass Verfahren wegen gravierender Verbrechen auch während eines Krieges vor einem zivilen Gericht unter Wahrung international anerkannter Verfahrensstandards durchgeführt werden können. Mit der Einrichtung des Internationalen Ständigen Strafgerichtshofes, dessen Statut die USA immerhin unterzeichnet, wenn auch noch nicht ratifiziert haben, ist zudem die Idee, selbst gegen Militärs und angesichts schwerster Verbrechen, vor einem ordentlichen Zivilgericht zu verhandeln, weiter vorangebracht worden. Daß die USA jetzt den umgekehrten Weg gehen und Nicht-Kombattanten, von denen der Präsident annimmt, sie seien Terroristen, vor Militärgerichte stellt, ist an sich schon unangebracht. Bedenklich erscheint vor allem aber, daß die Rhetorik, mit der sich Präsident Bush und andere Befürworter seines Vorstoßes so rückhaltlos für die schnelle und effiziente Aburteilung von mutmaßlichen Terroristen und ihren vermeintlichen Unterstützern stark machen, auch als Attacke gegen ein freiheitliches Strafrecht verstanden werden müssen, in dem sich Verfahren über Monate und Jahre hinziehen können und das sicherstellen soll, dass eher ein Schuldiger freigesprochen, als ein Unschuldiger verurteilt wird. Von Befürwortern der Militärtribunale werden die beiden Verfahren wegen der 1993 erfolgten Anschläge auf das World Trade Center auf Grund der langen Verfahrensdauer und der enormen Kosten, die die Einvernahme von mehr als 200 Zeugen verursacht hat, als Beispiel dafür herangezogen, dass terroristische Akte besser, weil effizienter durch eine Militärjustiz geahndet werden können. Alan Dershowitz warnt angesichts dieser Stimmen in einem Kommentar für "The Village Voice": "Der sichtbare Erfolg, den eine militärische Herangehensweise an Gerichts-Verfahren haben kann, wird viele Amerikaner ermuntern, diesen Weg für den besseren Weg zu halten, der Normalfall sein sollte, nicht die Ausnahme." Dass in mehreren repräsentativen Meinungsumfrage unter US-Amerikaner Ende letzter Woche jeweils etwa 2/3 der Befragten die Einrichtung von Militärtribunalen befürworteten und noch weitaus mehr sich für das Abhören von Gesprächen zwischen mutmaßlichen Terroristen und ihren Verteidigern und für die unbefristeten Festnahmen von mutmaßlichen Zeugen, die keine Aussagen machen wollen ausgesprochen haben, signalisiert, auf wieviel mehr Zustimmung hartes effizientes Durchgreifen derzeit stößt, als die konsequente Wahrung in der Verfassung vebriefter Grundrechte.

Im Milligan-Prozeß hat der damalige Oberste Gerichtshof der USA dagegen darauf beharrt, dass sich das Recht mit seinen freiheitlichen Prinzipien gerade in Krisen-, also auch in Kriegszeiten bewähren muß und nicht beschnitten werden darf: "Die großartigen und klugen Männer, den wir unsere Verfassung verdanken, haben unruhige Zeiten vorausgesehen, in denen Regierende und Bürger unruhig versuchen würden ihre Beschränkungen abzustreifen um durch scharfe und entschlossene Maßnahmen zu erreichen, was ihnen gut und gerecht erscheint; deswegen würden die in der Verfassung enthaltenen Freiheitsprinzipien solange in Gefahr sein, wie nicht durch unwiderrufliche Gesetze abgesichert sind." Präsident Bush muß sich heute über diese prinzipielle rechtstaatliche Position aus dem 19. Jahrhundert wenig Gedanken machen. Vom Obersten Gerichtshof droht ihm derzeit kaum Gefahr. Dessen Vorsitzender Richter Rehnquist ist im Schlußkapitel seines Buches über Bürgerrechte in Kriegszeiten bei aller Skepsis gegenüber juristischen Alleingängen von Präsidenten in Sachen Militärgerichtsbarkeit weitaus weniger entschieden. Ciceros Dictum "Inter arma silent leges" (Wenn die Waffen sprechen, schweigen die Gesetze) modifiziert er bedächtig: "In Kriegszeiten werden die Gesetze nicht schweigen, aber sie werden mit einer anderen Stimme sprechen." Wie soll diese Stimmer aber klingen? Wird Justitia ihre Augenbinde ablegen und das Urteil im Kommandoton verkünden, wie einen Befehl?

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