Pragmatiker des Rassismus
06.02.1992 | AutorIn: Dr. Oliver Tolmein | Deutschland aktuell
Veröffentlicht in: Konkret 02 / 92, S. 10: Deutsche Soldaten will er in alle Welt schicken, aber Ausländer haben für ihn in Deutschland nichts zu suchen. Es sei denn, wir benötigen sie für befristete Arbeitseinsätze. Wolfgang Schäuble, der neue Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist nicht originell, sondern schlimmer: erfolgreich - ein pragmatischer Rassist deutscher Nation
Er hat den Ehrenbambi 91 verliehen bekommen, ist für "Bunte"-Leserinnen und -Leser der "Mann des Jahres 1991", und auf der "Spiegel"-Liste wird er in der Beliebtheitsskala der Politiker regelmäßig auf den vorderen Rängen plaziert. Seitdem Deutschland wieder ein Staat ist und die Gesellschaft hierzulande sich zusehends zu einem Volk formiert, wobei sich die ohnedies nie allzu klar gezogenen politischen Fronten immer weiter verwischen, ist der alte Bundesinnenminister und neue Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU tatsächlich der Mann des nationalen Konsenses. Die einen attestieren ihm, er befinde sich "effektvoll auf dem Weg zum Mythos", andere charakterisieren ihn als "Pragmatiker pur", das politische Feuilleton streitet noch, ob er als "Architekt der Vereinigung" oder nur als deren "Notar" zu gelten habe. Immerhin sind sich alle einig, daß er mit seiner Rede zur Hauptstadtfrage als Meinungs-Führer nach Berlin gewirkt hat. Und niemand zweifelt mehr daran, daß er, dem alle relevanten deutschen Sekundärtugenden - Strebsamkeit, Fleiß, Pünktlichkeit und Effizienz - bescheinigt werden, nach Dregger und neben Kohl einen neuen Stil für die regierende Union prägen wird. Was wird das für einer sein?
Offen, ehrlich, diskussionsbereit, rational - "Schutt wegräumen, Realist bleiben, Visionäres abwimmeln und zuversichtlich auftreten - darauf reduziert sich das" - faßt die "Zeit" den Konsens der Pluralisten in Worte. "Nicht visionär" ist dabei negativ gemeint: Die moderat reformerische Intelligenz weint dem CDU-Modernisierungsverlierer Heiner Geißler noch immer leise Tränen nach und hält sich ja auch auf die eigenen Visionen von Frieden, Multikultur und einem Kapitalismus mit menschlichem Antlitz allerhand zugute. Der realitätstüchtigere Schäuble fühlt sich nicht verstanden, Deutschland, meint er, sei Vision genug: "Als ich vor drei Jahren gesagt habe, wir halten am Ziel der Herstellung der staatlichen Einheit fest, war das natürlich nicht visionär, sondern reaktionär. Und heute ist das auch keine Vision mehr, sondern angeblich schlichter Pragmatismus."
Tatsächlich ist der Ex-Minister ein kluger Taktiker, der einflußreich, kompetent und lange Zeit eher im Hintergrund gewirkt hat. Seine Taktik allerdings war, anders als ihm in den Medien unterstellt wird, die seinen Pragmatismus gerne als ziellos beschreiben, immer nur Mittel zum Zweck einer Rekonstruktion der Volksgemeinschaft. Sein Engagement für die Einheit der Nation hatte dabei aber nie etwas Überschäumendes, er mußte sich nicht penetrant zu seinem Deutschtum bekennen, um als praktizierender Nationalist wirkungsvoll tätig zu sein. Im Gegenteil: Gerade der Verzicht auf das primitive Ressentiment und die unverhohlen völkischen Töne haben seine Arbeit gekennzeichnet (und erheblich erleichtert). Das unterscheidet ihn von seinen Amts-Vorgängern: dem dumpfdeutschen Bundesinnenminister Zimmermann damals und dem senilen Militaristen Dregger heute. Daß die bundesdeutschen Medien ihn deswegen gleich als "liberalen Konservativen" preisen, sagt allerdings mehr über die politische und intellektuelle Verfassung der Autoren aus als über die des so Benannten. Und das nicht nur und nicht einmal vor allem, weil er der Kirche zu Friedensbewegungszeiten vorgeworfen hat, "eine Angstkultur" zu entwickeln, oder weil er vor Jahren die steigenden Arbeitslosenzahlen mit dem Hinweis erklärte, die Statistik enthalte zahlreiche "aufgestachelte Menschen", die gar nicht arbeiten wollten. Was in den frühen Achtzigern Schäubles Politik auszumachen schien, sein kleinkrämerischer Puritanismus, die kühl kalkulierte Rhetorik gegen den Sozialstaat und seine sorgsam inszenierte Heile-Familien-Welt-Propaganda - heute fügt sich das reaktionäre Stückwerk zu einem schlimmeren Ganzen.
Der "Pragmatiker" Wolfgang Schäuble, der inhaltlich angeblich für "nichts" stehen soll, setzt seit etwa acht Jahren innenpolitisch um, was sein Bundeskanzler Helmut Kohl, dem er loyal und zuverlässig zuarbeitet, auf der ideologischen Ebene und nach außen vorantreibt: die Entsorgung Deutschlands von seiner Vergangenheit und seine Rekonstruktion als Weltmacht. Europa den Deutschen - das würde er so offen nie sagen. "Begreifst du aber, wieviel andächtig schwärmen leichter als gut handeln ist?" - Diese Sentenz aus Lessings "Nathan der Weise", das verrät der Gegen-Aufklärer Schäuble den Journalisten gern, ist für ihn ein Leitmotiv.
Das Ziel ist weit gesteckt. Im Augenblick arbeitet Schäuble noch an den Voraussetzungen, die geschaffen sein müssen, um es zu erreichen: Er braucht ein ruhiges, machtvolles Hinterland. Ein Deutschland - eine Nation. Der zielstrebigen Demontage des Asylrechts kommt da besondere Bedeutung zu: nicht nur weil es uneingeschränkt den schwer zu kontrollierenden, deswegen arbeitsmarkt- und bevölkerungspolitisch kaum zu optimierenden Zuzug von Ausländern und Ausländerinnen nach Deutschland ermöglichte, sondern mehr noch weil es ein deutsches Schuldbekenntnis, fast die einzige ins Grundgesetz aufgenommene Erinnerung an die nazistischen Verbrechen Deutschlands darstellt.
Mitte der achtziger Jahre machte sich der damalige Kanzleramtsminister das erste Mal folgenreich an "die Lösung des Asylantenproblems". Dem Schalck-Untersuchungsausschuß des Bundestages hat er jetzt stolz erzählt, wie er mit der DDR verhandelt hat: 850 Millionen Mark gegen die Schließung der Mauer für Ausländer. Nachdem die DDR den Deal 1986 abgeschlossen hatte, das vielbeklagte "Loch" in der Mauer also endlich gestopft war, bereitete Wolfgang Schäuble bereits die nächsten Schritte vor, warnte öffentlich in bewegten Worten vor den "kommerziellen Schlepperorganisationen" und erneuerte, verknüpft mit einer klaren Absage an die aus der nazistischen Geschichte abgeleitete besondere Verantwortung der Bundesrepublik, eindringlich die Forderung nach einer Änderung des Grundgesetz-Artikels 16: "Die Väter unseres Grundgesetzes haben sich die heutige Situation nicht vorstellen können, mit Jumbo-Jets und weltweiten Wanderungsbewegungen. Für sie hatte das Asylrecht wohl eher einen europäischen Bezug. Aber wir müssen für den Rest der Geschichte in dieser Frage nicht so einzigartig bleiben, wie es im Grundgesetz derzeit formuliert ist."
Wohl wissend, daß diese Konsequenz aus der deutschen Geschichte so schnell nicht umzusetzen sein wird, entwickelte das Kabinett, und darin mit besonderem Engagement der Kanzleramtsminister, eine Initiative zur Harmonisierung des Asylrechts im europäischen Rahmen, die seitdem auf EG-Ebene beharrlich und gegen den Willen etlicher Mitgliedsstaaten vorangetrieben wird. Ein erster Erfolg in dieser Richtung sind die Grundzüge zur "Harmonisierung des Asylrechts", beschlossen durch die Vertragsstaaten des Schengener Abkommens (Frankreich, Benelux-Staaten, BRD), die unter anderem vorsehen, daß Flüchtlinge nur noch in einem der Signatarstaaten einen Asylantrag stellen können. Diese Idee hat Schäuble, noch Innenminister, aber bereits designierter Fraktionschef, dann 1991 nüchtern weitergedacht und vorgeschlagen, Flüchtlinge nur noch in dem Land als Asylbewerber zuzulassen, in dem sie ihren ersten "Gebietskontakt" haben. Denn: "Wer immer auf dem Landweg zu uns kommt, hat ein anderes Land schon vorher berührt. Und auf dem Luftweg kommen derzeit nur zwei Prozent der Asylbewerber". Im Ergebnis könnte auch eine Grundgesetzänderung die Bundesrepublik nicht besser abschotten - weswegen sie manchem ihrer Gegner mittlerweile fast als das kleinere Übel erscheint. Schäuble kann, auch wenn er weder das eine noch das andere bislang durchzusetzen vermochte, zufrieden sein: Er ist bereits ein gutes Stück vorangekommen - es lohnt sich eben, viele Wege zu versuchen, um ans Ziel zu kommen.
Als besonders erfolgreich hat sich auch der von ihm am 18. Januar 1990 vorgelegte "Entwurf einer Flüchtlingskonzeption" erwiesen, in dem in der Sprache der Schreibtischtäter festgelegt wird: "Der Versuch der Betroffenen, sich zeitweise oder dauernd in der Bundesrepublik niederzulassen, widerspricht dem Nichteinwanderungsprinzip... Den Flüchtlingen darf deshalb in der Regel keine Gelegenheit gegeben werden, ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik zu verfestigen und sich in die hiesige Gesellschaft zu integrieren." Charakteristisch für Schäuble ist, daß er diese erbarmungslose Vertreibungs-Programmatik als Bestandteil des Regionalisierungskonzepts des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen verstanden wissen will und mit einem Konzept für Rückkehrhilfen verbindet, die auf Beifall bis weit in alternative und liberale Kreise hinein stoßen.
Im nächsten Schritt hat Schäuble dann das Asylverfahrensgesetz verschärft: Verkürzung der langwierigen Verfahren hieß das Stichwort, mit dem nach außen für Akzeptanz gesorgt wurde: Während ein vergleichbarer, aber aggressiver formulierter Entwurf seines Amtsvorgängers Zimmermann auf den geschlossenen Widerstand von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden gestoßen war, mußte sich Schäuble nur noch mit der Kritik von amnesty international abgeben, obwohl doch tatsächlich die Verkürzung des Rechtsweges und knapper bemessene Fristen vor allem zur Folge haben, daß Abschiebungen erleichtert werden. Dieses Kalkül wurde mit dem im Oktober 1991 beschlossenen Allparteien-Kompromiß, der die Einrichtung von Sammellagern und 6-Wochen-Schnellverfahren für "offensichtlich unbegründete" Asylverfahren vorsieht und bis zum März 1992 weitgehend realisiert werden soll, konsequent weiterverfolgt. Und Schäuble ist stolz darauf, daß in seinem baden-württembergischen Wahlkreis das erste große Sammellager der Bundesrepublik eingerichtet worden ist.
Flankiert werden diese juristischen Restriktionen auf Schäubles Initiative durch eine "umfassende Abwehrstrategie" an den Ostgrenzen des Reiches: Bundesgrenzschutz-Kommandos, die in großer Zahl dorthin kommandiert wurden, durchkämmen die Grenzgebiete, fliegen die Oder-Neiße-Linie ab, machen Jagd auf Flüchtlinge. Maßnahmen, die im Rahmen einer europäi-schen Koordination verallgemeinert werden sollen, zu der Schäuble Ende Oktober 91 die Polizeiminister aus 28 Staaten eingeladen hat, um mit ihnen ein strategisches Konzept zur "Migrationseindämmung" abzustimmen. Darüber hinaus hat der umsichtige Deutschlandpolitiker ein bilaterales Abkommen mit Polen auf den Weg gebracht, das vorsieht, illegal über Polen in die BRD eingereiste Flüchtlinge wieder "zurückzuüberstellen" (siehe KONKRET 12/91).
Die Bemühungen des Bundesinnenministers, über die Aushebelung des Grundrechts auf Asyl die Deutschen mit ihrer Nationalgeschichte auszusöhnen, erreichten ihren vorläufigen Höhepunkt, als im Frühjahr 1991, während des Golfkrieges, 269 sowjetische Juden nach kurzem Aufenthalt in Israel in die Bundesrepublik kamen. Vom Berliner CDU-Innensenator Heckelmann gebeten, sich mit der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis einverstanden zu erklären, antwortete Schäuble mit einem schroffen und unmißverständlichen Nein.
Auch die Situation nicht-asyl-suchender Migrantinnen und Migranten in der Bundesrepublik hat Wolfgang Schäuble während seiner Amtszeit als Minister nachhaltig verschlechtern können. Mit dem zum 1. Januar 1991 in Kraft getretenen Ausländergesetz hat er, ohne das nationalistische Vokabular des 1988 unter scharfen Beschuß geratenen Zimmermann-Entwurfes zu verwenden, einen kaum weniger völkisch ausgelegten ohne große Reibungsverluste durchgesetzt. Von der "Bewahrung des deutschen Volkstums" ist darin zwar nicht die Rede, der Leitgedanke des Paragraphenwerks ist gleichwohl, nur einer verschwindend kleinen Minderheit von Ausländern, die sich zudem noch als rückhaltlose Deutschlandfreunde beweisen müssen, die Integration zu ermöglichen, alle anderen aber als arbeitsmarktpolitische Manövriermasse zu behandeln: ihr Aufenthalt hierzulande soll stets befristet sein und - selbst wenn er über Jahre dauert - keine Rechtsansprüche begründen. Die nur vage umrissenen, weit auszulegenden "Interessen der Bundesrepublik Deutschland" beschneiden Einreiserechte, stutzen die Individualrechte der Ausländerinnen und Ausländer auf ein Minimum zurück. Insbesondere ihr Recht auf politische Betätigung ist zu einer Stillhalte-Pflicht umgemodelt worden - bei Bedarf kann sogar der Protest gegen die eigene Diskriminierung von Staats wegen als "geeignet" interpretiert werden, "das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern" zu stören.
Denn es sind, daran läßt Schäuble keinen Zweifel, die Ausländer selber, die Schuld am zunehmend frostigeren Klima in Deutschland tragen. Die Forderungen nach einer "multikulturellen Gesellschaft", erklärte er auf einer Tagung der Evangelischen Akademie in Tutzing, überfordere "die Menschen emotional". In der anläßlich der bedrohlichen Zunahme rassistisch motivierter Anschläge geführten Bundestagsdebatte am 25.9.1991 hielt es der damalige Bundesinnenminister deswegen auch für seine Aufgabe, den derart Überforderten beizustehen: "Es ist unverzichtbar, daß wir den Menschen", und das sind für ihn immer die Deutschen,"das Gefühl geben, wir nähmen ihre Sorgen und Ängste auch ernst und wir würden als Politiker nicht nur reden, sondern auch handeln. Es ist eben wahr, daß immer mehr Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die überhaupt nichts mit Ausländerfeindlichkeit, Gewalttätigkeiten und Extremismus oder Rechtsradikalismus zu tun haben, die Sorge und die Angst haben, daß diese Bundesrepublik Deutschland ... nicht mehr in der Lage ist, die Politik der Zuzugsbegrenzung ... jetzt auch wirklich einzuhalten."
Über die Brandstifter verliert der Biedermann kein Wort - gerade mal ein Hinweis darauf, daß rechtsextremistische Gewalttaten dem Ansehen Deutschlands schaden, kommt ihm über die Lippen. Wochen später verrät er der "Bunten" dann, was er über die Täter denkt: "Der Rechtsextremismus ist eine schlimme Sache, auch wenn die Neonazis nur in kleinen Gruppen auftreten. Es sind zum Teil auch sehr unreife Krakeeler darunter. Ich will es nicht dramatisieren." Das hat ihm allerdings auch noch niemand vorgeworfen. Ebenso wenig wie das Gegenteil.
Die Bundesdeutschen und ihre vierte Staatsgewalt, die Medien, verstehen die Sprache des routinierten Demagogen Schäuble recht gut, und sie gefällt ihnen. Mindestens bewundern sie, wie seine Reden, die nachgelesen eher schlicht wirken, bei seinen Zuhörern zünden und Beifallsstürme auslösen. Nur ausnahmsweise klingen Bedenken an wie nach seinem letzten Vorschlag zur Verschärfung des Asylrechts, als ihm die "Süddeutsche Zeitung" empört "Unerbittlichkeit" und ein "Flipperspiel mit Flüchtlingen" vorwarf. Volk und Hetzer hören aufeinander - da bedarf es keiner schneidenden Rhetorik, auch keiner brillanten Wortakrobatik. Phantasie oder ein Übermaß an Originalität würden da ebenfalls nur stören. Schäuble muß seine erbarmungslose Politik, die Ausländer zum Material für deutsche Interessen macht, nicht gegen den Zeitgeist entwickeln, im Gegenteil, er prägt ihn mit ihr.
Neuerdings jedoch hat der Fraktionsvorsitzende Gegner, ja sogar erbitterte Feinde bekommen - deren Aggressionen ihren Grund allerdings nicht in seiner rassistischen Politik haben, sondern in ihrem eigenen Überlegenheitsgefühl. Für sie ist unerträglich, daß einer, der nicht laufen kann, an den Schaltstellen der Macht sitzt. Daß es das in den USA auch schon mal gegeben hat, tröstet die journalistischen Behindertenfeinde wenig. Schließlich gibt es da einen wichtigen Unterschied: "Der an Kinderlähmung erkrankte Roosevelt konnte, wenn auch an Krücken, ohne fremde Hilfe gehen, Schäuble ist vom dritten Wirbel an abwärts gelähmt. Der Rollstuhl ist unabänderlich." Wohl deswegen hat das Nichtbehindertenmagazin "Spiegel" seine Titelschlagzeile "Kohl-Rivale Schäuble: Hält er durch?" nicht wie üblich mit einem Porträt des so Infrage-Gestellten illustriert, sondern ihn ganz, inclusive Rollstuhl, an die Öffentlichkeit ausgeliefert: "Dieser Querschnittsgelähmte soll der Retter sein?", "Schäuble ist, auch in der reduzierten Fassung, allzeit loyal", "der körperlich zerschlagene Wolfgang Schäuble", "auf Schäubles mögliche Mitbewerber könnte wie Hohn wirken, daß Kohl... einen Gelähmten als seinen potentiellen Nachfolger auf dem Kanzlerstuhl ausgibt."
Der Rollstuhlfahrer - ein Rest-Mensch, und gleichzeitig ein besonders fieses Wesen. Der "stern", nachdem er vor Monaten mit einem Rührstück aus der Rehabilitationszeit des Ministers den Voyeurismus der Öffentlichkeit bedient hat, unterstellt ihm jetzt, er mache "den Rollstuhl zum Karrierevehikel". Auch die "Süddeutsche Zeitung" schlägt in diese Kerbe, indem sie Schäuble selbst dafür verantwortlich macht (das haben sie dem Ausländerfeind abgeguckt), daß ihn Nichtbehinderte diskriminieren: "Die Konditionen (können) nicht normal sein - und jeder (wird) ein schlechtes Gewissen haben, der mit ihm zu tun hat, aber nicht im Rollstuhl sitzt." "Bunte" und "Bild" halten fürsorglich, aber nicht weniger diskriminierend dagegen. Für sie muß ein Behinderter wenigstens ein Geistesheroe sein. Markig schreiben sie vom "Triumph des Willens", preisen Schäuble, als wäre er durch Stahlgewitter gerollt, als "mit einem schwachen Körper, aber mit einem starken Kopf und einem eisernen Willen" ausgestattet und loben mit unfreiwilliger Komik den "aufrechten Gang im Rollstuhl", um sich letzten Endes dann doch, wie andere Behindertenfeinde auch, Gedanken über den "Lebenswert" des Fahrers zu machen.
Wolfgang Schäuble wird als Behinderter Opfer eines deutschen Aufbruchs, den er als Politiker selbst mitzuverantworten hat: Wer hierzulande die ohnedies nur dürftigen Reste eines auf die deutschen Verbrechen dieses Jahrhunderts bezogenen Schuldbewußtseins zu tilgen versucht, macht auch der aus (ohnedies nur schwach entwickelter) Scham resultierenden Zurückhaltung gegenüber den während des Nationalsozialismus Verfolgten ein Ende. Die Schonzeit für die "Andersartigen" ist vorbei - das Ressentiment aber hat sich gut durch die Zeiten gerettet. Den Schreibtischtäter Schäuble streift es jetzt als kalte Brise - zu klammheimlicher Freude ist da kein Anlaß: schließlich muß der Rollstuhlfahrer frösteln, nicht der Politiker. Die Aggression gegen den einen wird außerdem noch durch die politische Übereinkunft mit dem anderen gebremst. Behinderte, die nicht als Rassisten an der Spitze des Staates wirken, trifft es jetzt schnell schlimmer - jetzt, wo man sich in Deutschland traut, den Juden wieder richtig die Meinung zu sagen und "Euthanasie" als Wohltat für die freundlich als "schwerstbehindert" titulierten Menschen zu legitimieren, in denen man aber nur "Krüppel" sieht.
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