Recht gespart

07.07.2004 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Internationales Recht

Dem Internationalen Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien geht das Geld aus

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 07.07.2004, Nr. 155 / Seite 36: Auch im internationalen Strafrecht gilt: Wer das Geld gibt, will dafür Erfolge sehen - und wenn sich die politischen Interessen ändern ist das am Budget zu sehen.

Gerechtigkeit hat ihren Preis. Manchmal ist er auf den Dollar genau zu berechnen. Das Internationale Kriegsverbrechertribunal für das frühere Jugoslawien (ICTY) beispielsweise hat für 2004/2005 einen Etat von 271 854 600 Dollar, um mit seinen 1238 Mitarbeitern die Kriegsverbrechen, die im Verlauf des Balkan-Krieges begangen worden sind, zu ahnden. Gezahlt werden die Gelder von den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen - zumindest in der Theorie. Tatsächlich sind im aktuellen Finanzjahr bislang an die hundert Staaten ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachgekommen. Sowohl der Präsident des Gerichts, der Amerikaner Theodor Meron, als auch Chefanklägerin Carla del Ponte haben deswegen letzte Woche vor dem UN-Sicherheitsrat scharfe Kritik an der Zahlungsmoral der Staatengemeinschaft geäußert - ein Vorgang, der die säumigen Zahler aber unbeeindruckt gelassen hat. Japan, das offensichtlich die größten Schulden beim Tribunal hat, setzt derzeit andere Akzente in der internationalen Sicherheitspolitik. Die Vereinigten Staaten, die allein für etwa ein Viertel des Gerichtsbudgets aufkommen müssen, halten den Richtern und Anklägern in Den Haag ohnehin deren angeblich wenig effizientes Vorgehen vor. Sie haben deswegen, ohne auf nennenswerten Protest zu stoßen, bereits im letzten Jahr dafür gesorgt, daß das Tribunal nur noch bis zum Jahr 2010 verhandeln darf.

In Den Haag bemühen sich die betroffenen Richter und Anwälte währenddessen, die finanzielle Krise pragmatisch zu lösen. Da das Tribunal, wie jetzt bekannt wurde, im Mai sogar vorübergehend zahlungsunfähig war, sind Dienstreisen auf das Notwendigste beschränkt worden. Ermittlungen können daher gegenwärtig nur auf niedrigem Niveau vorangetrieben werden. Auch die Öffentlichkeitsarbeit des Tribunals auf dem Balkan ist ins Stocken geraten. Vor allem aber werden freie Stellen vorerst nicht neu besetzt - und gegenwärtig werden viele Stellen frei, da der Ständige Internationale Strafgerichtshof dringend Juristen mit Erfahrung im internationalen Strafrecht sucht und deswegen konsequent Mitarbeiter des ICTY abwirbt. Bedenklicher allerdings ist, daß die Ankläger des Ad-hoc-Kriegsverbrechertribunals nun auch ihre Strategie geändert haben, um die ausstehenden Verfahren effizienter und ökonomischer zum Abschluß zu bringen. Immer häufiger werden gegenwärtig sogenannte "Plea Bargainings" durchgeführt: Die Angeklagten bekennen sich ganz oder teilweise schuldig, sind möglicherweise auch bereit, mit Carla del Pontes Stab zu kooperieren und gegen andere Angeklagte auszusagen, und im Gegenzug werden ihnen dafür deutlich mildere Strafen zugesichert. Von fünfunddreißig bislang rechtskräftig vor dem ICTY wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilten Angeklagten haben sich siebzehn auf diesen Ausweg besonnen, darunter einige hochrangige serbische Politiker und Militärs, die dann im gerade vertagten Milosevic-Verfahren als Belastungszeugen aufgetreten sind. Derartige Absprachen, die in den Vereinigten Staaten neunzig Prozent aller Strafverfahren beenden und auch in der kontinentaleuropäischen Strafprozeßführung an Bedeutung gewinnen, waren in der Verfahrensordnung des ICTY ursprünglich nicht vorgesehen, weil man nicht wollte, daß Schuldbekenntnisse für schwerste Verbrechen wie Völkermord Gegenstand von Deals werden.

 

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