Recht unzuständig

21.05.1999 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Internationales Recht

Veröffentlicht in: Freitag 21.5.1999: Die NATO wehrt sich mit formalen Argumenten gegen die Klage Jugoslawiens vor dem Internationalen Gerichtshof

Es war ein Lehrstück darüber, wie unzulänglich die Instrumente sind, die das Internationale Völkerrecht zur Verfügung stellen kann, wenn Staaten antreten, auf ihre Weise Gerechtigkeit in die Welt zu bringen: Während der Anhörungen des von Jugoslawien in Den Haag angestrengten Verfahrens, um eine einstweilige Anordnung des Internationalen Gerichtshofes gegen die NATO-Luftangriffe zu erreichen, konnten die streitenden Parteien sich nicht einmal auf ein Thema verständigen. Die Vertreter des Klägers - ein Team renommierter internationaler Juristen aus Serbien, Großbritannien, Holland und Belgien - akzentuierten vor allem die Prinzipien der staatlichen Souveränität, der Nichteinmischung und des Verbots eines Angriffskrieges. Außerdem - argumentierten sie - stelle der Versuch, die Unterzeichnung des Vertrages von Rambouillet durch die Drohung mit einem Angriff zu erzwingen, einen Verstoß gegen das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge dar, das in Artikel 52 festhält: "Ein Vertrag ist nichtig, wenn sein Beschluß durch Androhung von Gewalt unter Verletzung der in der UN-Charta niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts herbeigeführt wurde."

Als Kernstück der Klage arbeitete Oxford-Professor Ian Brownlie heraus, "humanitäre Interventionen" seien zwar nicht grundsätzlich, auf jeden Fall aber ohne Autorisierung durch den UN-Sicherheitsrat illegal. Er verwies dabei auf eine Entscheidung des Haager Gerichtshofes selbst, der 1985 in einem Urteil gegen die USA wegen der Verminung nikaraguanischer Häfen erklärt hatte: "Der Gerichtshof stellt fest, daß das Argument, man habe zur Wahrung der Menschenrechte gegen Nikaragua vorgehen müssen, keine juristische Rechtfertigung für das Handeln der USA darstellen kann."

Die Juristen der NATO parierten strikt formal. Die Bundesrepublik Jugoslawien könne nicht beanspruchen, als Nachfolger der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien UN-Mitglied zu sein, deswegen könne nicht von einer Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs - der eine Institution der UNO sei - ausgegangen werden. Allerdings ist - auch nach Auffassung der NATO - der heutige jugoslawische Staat der "Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes" wirksam beigetreten. Da Belgrad in seiner Klageschrift die NATO-Bombardements wegen der Angriffe auf zivile Ziele und der zahlreichen Toten auch als "Genozid am serbischen Volk" charakterisiert hatte, mußten sich die Anwälte der zehn verklagten NATO-Staaten hierzu eingehender äußern. Den USA fiel das nicht sonderlich schwer, da sie die "Völkermord-Konvention" mit dem Vorbehalt unterzeichnet hatten, von Anklage zu Anklage darüber zu entscheiden, ob sie eine internationale Gerichtsbarkeit anerkennen oder nicht: Im gegebenen Fall hat Washington das verweigert. Im Namen Deutschlands - Signatarstaat der Völkermord-Konvention ohne Wenn und Aber - hieß es, die NATO ziele bei ihren Luftangriffen gerade nicht darauf, eine nationale Gruppe als solche zu zerstören, vielmehr würde "die Kampagne" geführt, um Milosÿevic´ zu zwingen, den Genozid an den Kosovaren zu beenden.

Das alles entsprach den Erwartungen und verfing sich in einer mehr oder weniger moderaten Tonlage. Zu einem wirklich bemerkenswerten Schlagabtausch kam es allerdings zwischen Professor Ian Brownlie und Reinhard Hilger, der die Abteilung für Internationales Öffentliches Recht im Bonner Außenministerium leitet. Um den Vorwurf des Völkermords plausibel zu machen, faßte Brownlie zusammen wie die NATO unter anderem mit Clusterbomben und uranhaltigen Geschossen in dichtbesiedelten Gegenden täglich Dutzende von Zielen angreift und damit auch die Gesundheitsversorgung nachhaltig schädigt: "Wir sprechen hier über 600 Einsätze 24 Stunden rund um die Uhr. Briten meiner Generation haben direkte Erfahrung mit solchen Bombardements. Ich war sieben, als der II. Weltkrieg begann, und wir wurden - weil Liverpool ein wichtiger Seehafen war - jede Nacht bombardiert. Die heutigen Bomben sind sehr viel weiter entwickelt als die von 1940. Und dieses Ausmaß von Zwang und Gewalt wird von der Gegenpartei jetzt, wenn sie neutral von ›militärischen Aktionen‹ spricht, euphemistisch umschrieben und verharmlost. So, als ob es nicht um echte Bomben und Raketen ginge." Die Antwort von Hilger kam prompt: "Ich habe auch Erfahrungen mit Bombardements: Ich war ein kleiner Junge, als sich die Alliierten Anfang 1945 der Elbe näherten, wo ich damals lebte. Aber ich bin zwei Wochen zuvor auf einem offenen Pferdewagen westwärts geflohen. Deswegen: Wenn wir hier die Fakten anschauen, dürfen wir das Schicksal der Bevölkerung des Kosovo nicht übersehen, die zu Hunderttausenden aus ihrer Heimat fliehen muß." Der heimatvertriebene Deutsche auf Seiten der NATO gegen den ausgebombten Briten, der für die angegriffenen Jugoslawen spricht: Eine bizarre Konstellation. So bizarr wie dieses Verfahren insgesamt, in dem die NATO, die in diesem Krieg bislang wenig Wert auf Formalia gelegt hat, sich als Meister der Förmlichkeiten präsentiert hat. Zudem hätte deren Rechtsauffassung, so der Internationale Gerichtshof sich ihr anschließen sollte, zur Folge, daß Jugoslawien im internationalen System nicht einmal die Möglichkeit hätte, Rechtsschutz zu erhalten - die Allianz also "nur" in einen völkerrechtsfreien Raum vorgestoßen wären.

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