Rule, Britannia
06.07.1999 | AutorIn: Dr. Oliver Tolmein | Globalisierung
Veröffentlicht in: konkret 07 / 99, S. 28: Keiner ließ begeisterter bomben als er: Hätte der englische Premier Tony Blair sich durchgesetzt, wäre die Nato längst ins Kosovo einmarschiert
"Wir müssen jetzt in ein neues Jahrtausend eintreten, in eine Zeit, in der Diktatoren wissen, daß sie mit ethnischen Säuberungen und der Unterdrückung ihres Volkes nicht ungestraft davonkommen. In diesem Konflikt kämpfen wir nicht um Land, sondern für Werte. Wir kämpfen für einen neuen Internationalismus, der die brutale Repression von ganzen ethnischen Gruppen nicht mehr toleriert." Die starken Worte Tony Blairs in dem US-amerikanischen Nachrichtenmagazin "Newsweek" anläßlich des Gipfels zum 50. Geburtstag der Nato haben in Großbritannien ein klangvolles Echo ausgelöst: "Die Blair-Doktrin: Sie ist der Wahlspruch unserer Euro-Zukunft", kommentierte der linksliberale "Guardian" zufrieden und ließ in seinem Leitkommentar keinen Zweifel daran, was die Stunde in Europa geschlagen hat. Künftig soll nicht mehr die Souveränität eines Staates das bestimmende Prinzip im internationalen Recht sein, sondern die Wahrung grundlegender humanitärer Grundsätze. Wer sie verletzt, macht sich, wie Blair es am Rande des Nato-Gipfels anläßlich der 50-Jahres-Feier auf eine griffige Formel brachte, zum "Outlaw", gegen den die "zivilisierte Welt" vorzugehen habe. Und wer zur zivilisierten Welt gehört, die die Maßstäbe setzt, auch daran ließ Blair keinen Zweifel, soll künftig wieder in stärkerem Maße als in den letzten Jahrzehnten Großbritannien bestimmen.
Das besondere Interesse seiner Regierung am Krieg gegen Jugoslawien wurde symbolträchtig deutlich, als Blair sich nach kritischen Berichten aus Anlaß der Bombardierung von Flüchtlingstrecks und zivilen Siedlungen über die Unzulänglichkeiten der Nato-Medienpolitik ereiferte und seine eigenen Medienberater nach Brüssel entsandte, die dort bis hin zu den letzten Auftritten des künftigen Kfor-Kommandanten Michael Jackson mit den serbischen Generälen vor dem Verhandlungszelt eine straightere Selbstdarstellungs-Strategie des Bündnisses konzipierten und durchsetzen konnten. Um mit dem Instrument des Kriegs zur Wahrung der Werte der westlichen Welt das gut 200 Jahre alte Konzept der souveränen Nationalstaaten aus den Angeln zu heben und einen weiteren Prozeß der Globalisierung voranzutreiben, muß die Verbindung von Menschenrechten und Menschlichkeit offensiv gekappt werden. Erst wenn die Lektion wieder gelernt ist, daß der gerechte Krieg auch grausam sein muß, wenn also die Ausnahmeerfahrung aus dem Zweiten Weltkrieg gegen das nazistische Deutschland zur Regel für den Krieg gegen das allgegenwärtige Böse im Dritten Jahrtausend geworden ist, ist das Ziel der gegenwärtigen kulturellen und politischen Auseinandersetzung, wie die Blairisten sie führen, erreicht.
Blairs kunstvolle Selbstinszenierung in diesem Krieg als unnachgiebiger Falke steht aber auch im Zusammenhang mit innenpolitischen Entwicklungen Großbritanniens. Während die Royal Air Force (RAF) mit Kampfjets und Bombern das Kosovo und Belgrad unsicher machte, lief der Wahlkampf für die neuen Landesparlamente in Wales und Schottland auf Hochtouren, und kaum jemand zweifelt daran, daß die Neubildung der beiden Parlamente einen Prozeß vorantreiben wird, der zu einer Abspaltung von Großbritannien und damit langfristig zur Auflösung des Vereinigten Königreichs in seiner jetzigen Form führen kann. Tony Blair und "New Labour" versuchen, diese Entwicklung zu stoppen - mit überraschendem Erfolg, wie vor allem die Wahlen in Schottland gezeigt haben, bei denen der Kosovo-Krieg eine nicht unerhebliche Rolle gespielt hat. Der Schritt aus der Defensive gelang der Labour-Party nämlich, nachdem der Spitzenkandidat der Scottish National Party, der links-regionalistisch orientierte Alex Salmond, als erster (und einziger) Spitzenpolitiker Großbritanniens den Nato-Krieg scharf als Verbrechen kritisierte. "Das ist Schottlands Zukunft mit der SNP - im europäischen Abseits, in selbstgewählter Isolation von den freiheitlichen Demokratien", konterte Labour und nutzte die Auseinandersetzung mit der Anti-Kriegs-Position als Basis für eine Anti-Isolationismus-Kampagne, in deren Verlauf schließlich auch die muslimischen Organisationen dazu aufriefen, die SNP zu boykottieren.
Daß mittels Krieg die britische Nation erfolgreich zu mobilisieren ist, nutzte schon Margaret Thatcher zur Erhöhung ihrer Popularität, indem sie gegen Argentinien in den Krieg zog, um die Falkland-Inseln zu sichern. Die innenpolitische Basis, die sie damit schuf, machte es ihr in den folgenden Jahren möglich, auch den wirtschafts- und sozialpolitischen Kurs zu verschärfen. Tony Blair, der im Verlauf des Krieges gegen Jugoslawien mehrfach positiv auf Thatcher Bezug genommen und sich mit ihr zu einem Beratungsgespräch getroffen hat, ist nun auch insofern in ihre Fußstapfen getreten, als er - passend zum Kriegsende - mit Gerhard Schröder eine neoliberale Neubestimmung sozialdemokratischer Arbeits- und Sozialpolitik vorgenommen und in einem gemeinsamen Manifest ("Der Weg nach vorne für Europas Sozialdemokraten", "FR", 10.6.99) verkündet hat.
Anders als die Nationalkonservativen in den Achtzigern sieht der schottische Labour-Mann Ende der Neunziger sein Heil aber nicht in der Mobilisierung großer vaterländischer Gefühle. In der selbst durch Nationalismus und Sezessionsabsichten bedrohten multi-ethnischen Gesellschaft Großbritanniens verspricht sich "New Labour" größere Bindungswirkung vom Gefühl moralischer Überlegenheit. Ironischerweise wird so in dem Land, dessen "common sense" im letzten Jahrhundert die allgemeinen Menschenrechte für unbedeutend hielt, angesichts des wahren Wertes der Rechte eines Engländers die humanitäre Intervention zu dem gemeinschaftsstiftenden Ereignis des Jahrzehnts.
Flankiert wird der Vorstoß, die Wahrung der Menschenrechte zum Kriterium für die Entscheidung über Krieg und Frieden zu erklären, von dem Versprechen, damit dem niedergegangenen Empire einen Teil der verlorengegangenen Weltgeltung zurückzuerobern. Gerade Blair war in der ersten Phase seiner Regierungszeit kritisiert worden, weil er sich den USA gegenüber unterwürfig verhalten haben soll. Auch die Orientierung von "New Labour" auf die EU hat sich in den Augen vieler Briten bislang weder ökonomisch noch durch einen nachhaltigen Gewinn an Ansehen und Einfluß gelohnt. Diese Kritik ist mit dem offensiven Eintreten Blairs für den Krieg und angesichts seines aggressiven und hartnäckigen Bemühens, die Nato zum Einsatz von Bodentruppen zu bewegen, nahezu verstummt.
Blairs Bemühungen, vor dem Nato-Gipfel in einem kurzfristig anberaumten Gespräch US-Präsident Clinton vom Sinn eines Einmarschs in den Kosovo auch ohne Erlaubnis Belgrads zu überzeugen, und seine anschließenden Gespräche mit Pentagon-Offiziellen, Senatoren, Kongreßabgeordneten und Talkshow-Moderatoren, die ihn zum "Nato-Leader" und "Alliances Crusader" avancieren ließen, erinnerten manche britischen Medien an die besseren alten Zeiten: Blair habe die Sprache Churchills gesprochen. Und als sich gegen Ende des Krieges die Spannungen zwischen Blair und Clinton verstärkten, weil der US-Präsident für Blairs Geschmack den Einsatz der "Apache"-Hubschrauber zu lange hinauszögerte und sich immer nachdrücklicher gegen den Einsatz von Bodentruppen wandte, stärkten die britischen Medien - wenn auch skeptisch - ihrem Premier den Rücken. Zwar fielen manchem in dieser Phase, etwa ab Ende Mai, weniger Churchill als Herbert Asquith und Neville Chamberlain - die beiden britischen Premiers, die während eines Krieges wegen ihrer Kriegführung zurücktreten mußten - , ein, aber Blairs Hardliner-Strategie zog man nicht in Zweifel; sie galt nur angesichts der unzuverlässigen Alliierten als kaum durchsetzbar. Und unzuverlässig schienen sie nun alle: Die "post-Vietnam US-Army", die lieber nicht kämpfen will, die Deutschen, die vor allem darauf zielten, die Russen "einzubinden", die Franzosen, die den Krieg sowieso nicht mochten, die Italiener, deren Truppenkontigent kaum erwähnenswert schien ...
Blair ließ sich von den Schwierigkeiten mit seinen Verbündeten nicht beeindrucken und agierte weiter, wie es ihm am effizientesten erschien. Rücksichten nahm er keine: weder auf die Militärs, die sich vom Zivilisten Blair gegängelt fühlten, noch auf die Medien, die vor allem nach einer Intervention der Regierung wegen einer angeblich pro-serbischen Berichterstattung des Belgrader BBC-Korrespondenten und nach der Bombardierung des serbischen Fernsehens teilweise auf Anti-Kriegskurs gegangen waren. Blair ging richtigerweise davon aus, daß ein gewonnener Krieg von dieser Kritik wenig übriglassen würde. "Ohne Blairs Einfluß auf die Nato hätte Milosevic seine Spielchen spielen können", resümierte der "Guardian" den Krieg nach den Waffenstillstandsverhandlungen. Und daß Blair die britischen Truppen für die Kfor auf 20.000 Mann aufgestockt hat und damit von allen Nato-Staaten das größte Kontingent nach Jugoslawien schickt, ist in Großbritannien mit Wohlgefallen aufgenommen worden. Die Erklärung des Verteidigungsministers George Robertson, daß "die Größe des Truppenkontingents der Rolle entspricht, die wir bisher in diesem Konflikt übernommen haben", stieß auf allgemeine Zustimmung. Auch daß mit Sir Michael Jackson ein Brite das Oberkommando über Kfor innehat, war für Blair von erheblicher Bedeutung.
Der britische Premier setzt erkennbar darauf, daß sein Land von der offensiven politischen Hinwendung zum Kontinent nun auch profitieren soll. Dabei fährt er eine Doppelstrategie: Einerseits strebt er an, die Rolle Großbritanniens als wichtigster Partner der USA in Europa auszubauen. Auf längere Sicht hält er es aber gerade angesichts der Herausbildung einer gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik offensichtlich für sicherer, daß Großbritannien in Europa nicht an den Rand gedrängt wird, sondern sich als Militärmacht Nr. 1 in West- und Mitteleuropa etabliert. Daß diese Ambition ausgerechnet in einem Krieg gefestigt wurde, der auch Deutschland den ersten militärischen Erfolg seit seinem Sieg über Frankreich 1871 beschert hat, wie die britischen Medien wachsam vermerkten, trübt allerdings die Freude der Briten über ihr militärmachtpolitisches Vorankommen.
Der Krieg der Nato war angesichts gerade der britischen Interessen sicher kein "deutscher Krieg". Auch wenn richtig ist, daß die USA geschwächt aus diesem Konflikt hervorgehen, weil sie spürbar an Einfluß in Europa verloren haben, ist Deutschland nicht der einzige europäische Staat, der sich als Sieger fühlen kann. Die Frage ist vielmehr, ob Tony Blair seine Rolle als Scharfmacher und die Großbritanniens als Militärmacht politisch ausbauen kann und ob die Bundesrepublik das Terrain, das sie nun gewonnen hat, durch eine Stärkung ihrer militärischen Fähigkeiten abzusichern in der Lage ist. Erhebliche Bedeutung wird in diesem Verteilungskampf um die Machtpositionen in Europa, der mit diesem Krieg deutlich verschärft worden ist, die Entwicklung des deutsch-britischen Verhältnisses spielen: Wird sich eine Achse Berlin-London herausbilden, wie sich das beispielsweise mit der gemeinsamen arbeits- und sozialpolitischen Erklärung Blairs und Schröders andeutet? Denn eines ist klar: Der Krieg hat den sozialdemokratischen Regierungsparteien in Großbritannien und Deutschland zwar etwas Luft verschafft. In der nächsten Zeit werden die innenpolitischen Fragen aber wieder an Bedeutung gewinnen. Und nur wenn die Sozialdemokraten auch hier in die Offensive kommen, haben sie eine Chance, ihren aggressiven außen- und europapolitischen Kurs fortzusetzen und ihre Positionen auf internationaler Ebene auszubauen. "Tony Blair hatte einen großartigen Krieg", resümierte der "Guardian" Anfang Juni, "im Inneren hat sich seine Administration eher blamiert".
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