Ryanair wegen Diskriminierung verklagt

04.02.2004 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Februar 2004: Ein Rollstuhlfahrer konnte das britische Anti-Diskriminierungsrecht nutzen um sich gegen Ryanair zu wehren.

Das Urteil eines Londoner Amtsgerichts, mit dem der Billigfluganbieter Ryanair zur Zahlung von 1336 britischen Pfund Schadenersatz an einen behinderten Passagier verpflichtet wurde (1), hätte in Deutschland so nicht gefällt werden können. Das deutsche Gesetz zur Gleichstellung Behinderter, das 2002 verkündet wurde, verlangt zwar, dass bauliche Anlagen und Beförderungsmittel im öffentlichen Personenverkehr barrierefrei zu errichten sind. Es richtet sich aber in erster Linie an die Träger öffentlicher Gewalt, sieht keine Schadenersatzansprüche vor und regelt beispielsweise nicht, dass Assistenzdienste, wie im Ryanair-Fall ein Transport mit dem Rollstuhl durch einen Flughafen, kostenfrei anzubieten sind. Das sieben Jahre ältere britische Gesetz, der Disability Discrimination Act (DDA), ist demgegenüber, ähnlich wie ein entsprechendes us-amerikanisches Gesetz, umfassend konzipiert. Vor allem nimmt der DDA auch private Anbieter von Waren, Dienstleistungen und Einrichtungen (vom Fitnesscenter bis zur Galerie) in die Pflicht. Es enthält sogar Bestimmungen, die die Gleichstellung von behinderten Mitgliedern in Gewerkschaften oder berufsständischen Organisationen bewirken soll. Das Gesetz verbietet privaten und öffentlichen Wirtschaftsunternehmen Behinderten wegen ihrer Behinderung schlechtere oder teurere Leistungen anzubieten. Sie haben auch kein Recht, Leistungen ganz zu verweigern. Das Gesetz, das jeweils eng umrissene Ausnahmemöglichkeiten vorsieht, wie sie auch nach deutschem Recht unumgänglich wären, ist seit seiner Verabschiedung 1995 in mehreren Stufen in Kraft gesetzt worden. Die letzte Stufe, die im Oktober 2004 erreicht sein wird, verpflichtet alle privaten und öffentlichen Anbieter, ihre Leistungen vollständig barrierefrei anzubieten: Dann müssen alle Kinos, Gaststätten und auch die öffentlich zugänglichen Burgen und Schlösser für Rollstuhlfahrer oder blinde Menschen zugänglich sein.

Zur Vorbereitung dieser letzten Stufe läuft seit kurzem eine Kampagne der Kommission für Behindertenrechte: "Open 4 all". Die Kommission für Behindertenrechte, die derzeit 180 Mitarbeiter hat, ist dem deutschen Behindertenbeauftragten vergleichbar, hat aber ungleich mehr Kompetenzen. Vor allem kann sie auch selbst Klagen initiieren und unterstützen: Der Prozess, den der spastisch gelähmte Fluggast Bob Ross gegen Ryanair geführt hat, wäre ohne die Unterstützung der Kommission kaum möglich gewesen. Nach diesem erfolgreichen Musterprozess hat die Kommission Ryanair eine zivilrechtliche Sammelklage weiterer 50 Fluggäste angedroht, wenn sie für ihre Flüge keinen kostenlosen Rollstuhlbeförderungsdienst zu den Flugzeugen bereitstellt. Ryanair selbst gibt aber nicht klein bei, sondern ist gegen das erstinstanzliche Urteil in Berufung gegangen. Bemerkenswert ist allerdings die Argumentation der Billigfluglinie: Ryanair wendet sich nämlich nicht prinzipiell gegen den Anspruch des behinderten Fluggastes auf kostenfreie Beförderung zum Flugzeug. Sie argumentiert nur, dass diese Leistung nicht von der Fluglinie, sondern vom Betreiber des Flughafens erbracht werden müsse, der ansonsten seinen Verpflichtungen aus dem DDA nicht nachkomme. Zur Unterstützung dieser Position wird eine Empfehlung der EU-Kommission herangezogen, aber auch die Praxis in 80 von 86 europäischen Flughäfen erwähnt, die Ryanair anfliegt. Kurz nachdem das Londoner Amtsgericht sein Urteil gesprochen hat, haben Behindertenverbände und andere Organisationen im Berliner Bundesjustizministerium 15.000 Unterschriften für ein zivilrechtliches Antidiskriminierungsgesetz übergeben, das in Deutschland heftg umstritten ist. Das britische Beispiel mahnt zu mehr Gelassenheit. Die Praxis dort zeigt, dass ein solches Gesetz weder alle Probleme für Menschen mit Behinderungen löst, noch das Ende der Privatautonomie herbeiführt. Es schafft viel mehr die Grundlagen für Rechtsstreitigkeiten der üblichen Art.


(1) In dem Verfahren hatte Bob Ross mit Unterstützung der Disability Rights Commission gegen Ryanair vor dem Central London County Court geklagt. Ross, der vom Flughafen Stansted nach Perpignan/Südfrankreich flog, musste 18 britische Pfund an Ryanair zahlen, damit er im Rollstuhl durch das große Flughafengebäude zu seinem Flug gebracht werden konnte. Da der Flug selbst nur 10 britische Pfund kostete empfand Ross diese Benutzungsgebühr als Diskriminierung. Ryanair wandte dagegen ein, dass der Transport gehbehinderter Passagiere im Flughafen nicht Sache der Fluglinie, sondern des Flughafens sei.Gegen die Entscheidung ist Ryanair in die Berufung gegangen.

Weiterführende Links

    Stellungnahme von Ryan Air zum Verfahren | http://www.ryanair.com/press/2004/jan/gen-en-300104.html
    Das Gesetz: Der Disability Discrimination Act | http://www.disability.gov.uk/dda/
    Die Stellungnahme der Disability Rights Commission zum Verfahren | http://www.drc-gb.org/newsroom/newsdetails.asp?id=618%A7ion=1

 

Zurück zur Übersicht