Stern-Schnuppe

06.02.1996 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Deutschland aktuell

Veröffentlicht in: Konkret 02 / 96, S. 20: Die Implosion einer Enthüllungs-Story vor Gericht und das schwarz-grüne Zusammenwirken gegen sudanesische Flüchtlinge. Kein Bericht aus dem Informationsministerium, keine Übersetzung von Dolmetschern des Regimes, nur eine knappe Erinnerung

Es war einmal eine Partei, die stolz behauptete, der Zivilgesellschaft in Deutschland zum Durchbruch verholfen zu haben. Es war einmal ein oberstes deutsches Gericht, das sich der Wahrung der Grundrechte verpflichtet fühlte und ganz und gar unabhängig sein wollte. Und es war einmal eine Illustrierte, die immer wieder stolz erklärte, der Wahrheit und nichts als der Wahrheit verpflichtet zu sein.

Und es waren einmal sieben sudanesische Flüchtlinge, die in der Bundesrepublik Zuflucht suchten, weil manche von ihnen gefoltert worden waren, weil sie dem mörderischen Bürgerkrieg in ihrem Tausende Kilometer von Sarajevo entfernten Land entfliehen wollten, weil sie sich vor einem Regime retten wollten, das nach Auffassung von amnesty international, dem Uno-Flüchtlingskommissariat UNHCR und anderen internationalen Hilfsorganisationen ein Regime des Terrors ist.

Die Geschichte hatte die deutschen Medien, die nichts gegen "Asylanten an sich" haben und manchmal sogar Anteil an deren Schicksal nehmen, einmal sehr aufgewühlt. Als aber das Bundesverfassungsgericht die Abschiebung der Flüchtlinge schließlich zuließ, weil der erkennende Zweite Senat es aufgrund einer schriftlichen Erklärung "als ausreichend gewährleistet (ansah), daß den Antragstellern infolge ihrer Rückführung in den Sudan staatliche Verfolgung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit drohe"; als die Illustrierte "Stern" kurz darauf enthüllte, daß die sieben ohnedies nur "Wirtschaftsflüchtlinge" gewesen seien; und als die Grünen den Entdeckern von Hitlers Tagebüchern ihre jüngste Entdeckung sofort glaubten und deshalb darauf verzichteten, die bis dahin für skandalös gehaltenen Vorgänge um die Abschiebung im Rahmen einer bereits angesetzten Aktuellen Stunde im Bundestag zu debattieren, war die Geschichte von den sieben Sudanesen bald vergessen.

Der starke Staat, vertreten durch seinen Innenminister Kanther, hatte sich im Streit um die sieben Flüchtlinge nicht nur behaupten können, er wurde auch noch mit Entschuldigungen, mit Abbitten und mit Anerkennung überhäuft. "Jedenfalls ist nach meiner derzeitigen Informationslage Kanther formalrechtlich nichts nachzuweisen", erklärte der innenpolitische Obmann von Bündnis 90/Die Grünen, Rezzo Schlauch. Kanther wußte es dem Obmann zu danken und resümierte: "Einer hundsgemeinen Kampagne wurde sogar die parlamentarische Spitze genommen." Seinen Gegnern gab er den guten Rat, künftig "die Fakten zu würdigen, und sich nicht an den hohlen Bauch zu halten".

Die Geschichte, so die Moral, war wohl die falsche Geschichte. Denn wenn sich die ums Ansehen ihres Landes in der Welt ebenso wie ums eigene Gemeinwohl besorgten Deutschen schon der Notleidenden und Bedürftigen annehmen, dann haben die sich der hohen Teilnahme gefälligst würdig zu erweisen: Der RAF-Gefangene soll alles gestehen und bereuen; Flüchtlinge dürfen keinen wirtschaftlichen Grund für ihre Flucht gehabt haben, sind sie aber einmal in Deutschland angekommen, haben sie, wie arm sie auch seien, ihren Gastgebern ein Vorbild an Tugend und Bescheidenheit zu sein.

Seit der Abschiebung der Sudanesen ist es still geworden ums Thema Asyl. Nicht einmal die Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht, in deren Verlauf schändliche Details über die Praxis der Asylverweigerung in Deutschland zu hören waren, hat das Thema wieder auf die politische Tagesordnung setzen können.

Und das alles wegen der "Fakten", von denen Manfred Kanther sprach? Und welcher Fakten? Der Minister selbst hat keine neuen präsentiert. Und sein - unterstellen wir ruhig: unfreiwilliges - Hilfsorgan, der "Stern", der mit der Recherche seines Reporters Stührenberg zeigen durfte, was deutsche Medien, wenn sie sich denn in investigative journalism versuchen, so alles zustandebringen? Dessen "Fakten", in zwei großzügig aufgemachten Geschichten präsentiert, die erst belegen sollten, daß da Asylbetrüger am Werke waren, und dann, daß Unterstützer der Flüchtlinge diese nur rücksichtslos als Instrument für ihre eigenen politischen Ziele mißbraucht hätten, sind vor der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Main im Protokoll der öffentlichen Verhandlung am 7. Dezember 1995 so beigesetzt worden: "Im Rechtsstreit Gruner und Jahr AG gegen Stefan Hippler u.a ... Verfügungskläger-Vertreter erklärt vorab: Die Verfügungsklägerin verzichtet auf die Rechte aus der einstweiligen Verfügung vom 25.10. 1995."

Ins Deutsche zurückübersetzt: Der Verlag Gruner und Jahr, in dem der "Stern" erscheint, gibt klein bei; die Illustrierte kann ihre Behauptung, sie habe mit der Mutter eines der sieben sudanesischen Flüchtlinge gesprochen, nicht beweisen (bestenfalls handelte es sich bei der Frau, die dem Flüchtling Mohammed Mustafa vorgeworfen haben soll, seine Familie ruiniert zu haben, um eine Tante). Schon am 12. Oktober war es dem "Stern" vom Gericht untersagt worden, wörtlich oder sinngemäß die Behauptung aufzustellen, der katholische Priester und Caritas-Sozialarbeiter Stefan Hippler habe den abgeschobenen Asylsuchenden verboten, mit einer Mitarbeiterin des ZDF zu reden. Auch daß er, wie der "Stern" behauptete, zu der Reporterin wörtlich gesagt haben soll: "Sie können davon ausgehen, daß ich alles tun werde, um das zu verhindern", darf die Illustrierte nicht mehr verbreiten. Die Journalistin selbst hatte in einer eidesstattlichen Erklärung sehr viel vorsichtiger und zurückhaltender geschrieben: "Nach meiner Erinnerung sagte er: ›Jetzt redet keiner mehr mit Ihnen.‹"

Zunächst hatte der "Stern" behauptet, mit vier der sieben Abgeschobenen Kontakt gehabt zu haben; später, in einer Gegendarstellung in der "Taz", waren es dann, ohne daß es eine Erklärung dafür gab, nur noch drei. Daß der Gegenrecherche von Stefan Hippler zufolge ein falscher Name die Geschichte ziert, Wohnorte falsch bezeichnet werden oder eine Aussage eines Flüchtlings aus den Befragungen beim BGS falsch wiedergegeben wird und deswegen dann "widerlegt" werden kann, hindert Michael Seufert, den stellvertretenden Chefredakteur des "Stern", bis heute nicht, von einem "sauberen Stück journalistischer Recherche" zu sprechen. "Es gibt", erklärte er gegenüber KONKRET, "keinen Anlaß für uns, an unserer Berichterstattung Zweifel zu haben. Daß die Geschichte auch Herrn Kanther möglicherweise gefallen hat, ist seine Sache."

Daß die Grünen, namentlich der sonst recht selbstbewußt wirkende Rezzo Schlauch, der bei anderer Gelegenheit jedes Tabu brechende Joschka Fischer, aber auch die als Linke gehandelte Juristin Kerstin Müller auf diese "Stern"-Stunde des Journalismus hin meinten, als Opposition in der Deckung eine bessere Figur zu machen als am Rednerpult, ist ihre Sache. Sie haben sich mit einem knappen, unengagierten Fünfzeiler entschuldigt und den Fall zu den Akten gelegt - vielleicht in der begründeten Furcht, daß sich aus ihm bei näherer Betrachtung mehr lernen ließe, als einer politischen Karriere förderlich ist.

Die Verfahren vor der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt haben nämlich nicht nur ergeben, daß der "Stern" mehrere falsche Behauptungen aufgestellt hat. Sie haben auch verdeutlicht, wie ein deutscher Enthüllungsjournalist, der von seiner Chefredaktion "seit langem als verläßlicher Kollege" gelobte Reporter Stührenberg, in einem Fall wie diesem glaubte recherchieren zu können.

Zur Erinnerung: Es ging um sieben Flüchtlinge, deren Asylanträge nicht etwa rechtskräftig abgelehnt worden waren, sondern die in den Sudan zurückgebracht wurden, weil das neue Asylrecht vorsieht, daß Asylsuchende, die auf dem Luftweg in die Bundesrepublik einreisen, einem Schnellverfahren unterworfen werden. Das kann u.a. zur Folge haben, daß die Geflohenen auf die rechtskräftige Entscheidung in ihrem Herkunftsland warten müssen. Die Rechtmäßigkeit dieser berüchtigten "Flughafenregelung" wird derzeit vom Bundesverfassungsgericht überprüft. Der "Stern" wollte, das zumindest behauptet er, recherchieren, wie es den Abgeschobenen anschließend erging.

Reporter Stührenberg, der sich aus anderen Gründen im Sudan aufhielt, übernahm den Fall und machte sich mithilfe seiner Begleiter auf die Suche. Sie wissen zwar: "Es ist fast unmöglich, die sieben Rückkehrer zu finden. Die Hauptstadt Khartum zählt dreieinhalb Millionen Einwohner!" Aber: "Am zweiten Tag der Suche hilft der Zufall. Aus einer Boutique eilt ein Student; er hatte die Ankunft seiner Landsleute im Fernsehen verfolgt ..." und kann Stührenberg zufällig schnurstracks zu einigen der Abgeschobenen führen, die jetzt, nachdem sie gegenüber dem BGS von Folter und Verfolgung berichtet haben, erzählen, sie hätten in Deutschland bloß besser verdienen wollen.

Reporter Stührenberg reist bei dieser brisanten Recherche, betreffend die ungewisse Zukunft politisch Verfolgter in einer Diktatur, in der Menschen spurlos verschwinden, seiner eigenen eidesstattlichen Erklärung zufolge mit einem Fahrer, der den vom Informationsministerium gemieteten PKW lenkt, mit einem französischen Fotografen und mit einem Übersetzer, der ebenfalls für die Pressestelle des sudanesischen Informationsministeriums arbeitet. Daß diese offene Zusammenarbeit mit den Machthabern die von ihm Gesuchten gefährdet und höchstwahrscheinlich auch jetzt, da ihre Flucht gescheitert ist, ihre Aussagen beeinflußt, kommt Stührenberg sowenig in den Kopf wie später seiner Chefredaktion.

Die Empörung über den kurzen Prozeß, der Flüchtlingen gemacht wird, war so schnell verflogen, wie er aufgeflackert war. Das geht nicht nur auf das Konto des "Stern" - die Illustrierte hätte zweifelsohne auch anders berichtet, wenn es sich denn gerade so ergeben hätte. Ihr kam es, wer wollte es ihr angesichts eines verzweifelten Kampfes um die Auflage verdenken, auf die Story an. Und daß Storys, in denen Flüchtlinge als Betrüger, Kriminelle und Glücksritter dastehen, am Markt lieber abgenommen werden, hat zwar auch, aber nicht nur mit der Berichterstattung dieser Illustrierten zu tun.

Das politische Desaster haben in diesem Fall Bündnis 90/Die Grünen verursacht. Dabei hätten sie gar nichts Besonderes leisten müssen: Die Recherchen und mühseligen Kleinarbeiten hatten "Pro Asyl" und die Anwältinnen der Sudaner erledigt, die unmittelbare menschliche und materielle Unterstützung vor Ort hatten Mitarbeiter des Flughafensozialdienstes geleistet. Gefragt war nur noch ein klarer Kopf und eine entschiedene politische Akzentsetzung: Es ging darum, ob Flüchtlinge, die aus einem Land kommen, in dem unbestreitbar politische Verfolgung und Folter herrschen, in einem fairen, rechtsstaatlichen Verfahren ihre Fluchtgründe vortragen und vertreten können.

Die sieben Sudanesen haben diese Chance nicht erhalten. "Wir waren der Meinung, daß es bessere Gelegenheiten gibt, für eine Reform des Verfahrens des Asylkompromisses zu kämpfen", erklärte Rezzo Schlauch nach der Abschiebung der Sudanesen den Verzicht der bündnisgrünen Fraktion auf die Aktuelle Stunde. So klar sollte es denn doch nicht stehen bleiben: "Die Absetzung der Aktuellen Stunde ... war ein Fehler. Die Fraktion entschuldigt sich dafür bei den Flüchtlingen und den Menschen und Organisationen, die diesen beistehen", hieß es in einer Presseerklärung des Fraktionsvorstands, die am gleichen Tag wie das Schlauch-Interview veröffentlicht wurde. Bei diesem müden Routineakt ist es dann aber geblieben, obwohl gerade die seitdem bekanntgewordenen Fakten durchaus Anlaß gegeben hätten, den ganz normalen Skandal wieder zum Politikum zu machen.

Das Ergebnis? Die Sieben sind im Sudan, das Schicksal der meisten von ihnen scheint unbekannt, eine Prüfung ihrer Asylanträge hat bis heute nicht stattgefunden, die rechtskräftige Entscheidung steht aus.

Eine ausgezeichnete Broschüre, die den ganz alltäglichen Skandal des Umgangs mit den sudanesischen Flüchtlingen beschreibt, hat Pro Asyl herausgegeben:

"Vor der Tür des Gesetzes".
Zu beziehen über: Förderverein Pro Asyl, Postfach 101843, 60018 Frankfurt/Main.

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