Völkisches Gewohnheitsrecht

01.04.1997 | AutorIn:  Dr. Oliver Tolmein | Recht

Veröffentlicht in: Konkret 04 / 97, S. 41: Out-of-area-Justiz in Bayern: Mit Hilfe eines Paragraphen, vor dem kein deutscher Kriegsverbrecher sich fürchten mußte, wird mehreren Serben der Prozeß gemacht

Der Paragraph 220a, der Völkermord unter Strafe stellt, ist durch eine internationale Konvention 1948 auch in Deutschland wirksam geworden; 1954 wurde er ins hiesige Strafgesetzbuch eingefügt. Eine nennenswerte Rolle in der bundesdeutschen Rechtsprechung hat er in den 43 Jahren seitdem nicht gespielt. Insbesondere Angehörige der deutschen Wehrmacht sind nicht angeklagt worden, daß sie "in der Absicht, eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihr Volkstum bestimmte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören, Mitglieder dieser Gruppe" getötet, ihnen schwere körperliche oder seelische Schäden zugefügt oder sie unter Lebensbedingungen gezwungen hätten, die geeignet gewesen sind, "deren körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen". Und während Soldaten, die im Verlauf des Vernichtungskrieges der deutschen Wehrmacht unter dem Oberbefehl Adolf Hitlers gedient, geschossen und gebrandschatzt haben, auch im Nachkriegsdeutschland zu Rang und Würden kamen, statt wegen, mindestens, Beihilfe zum Völkermord vor die Schranken eines deutschen Gerichtes treten zu müssen, sind Deserteure aus dieser Armee, also diejenigen, die sich - aus welchen Gründen auch immer - der Teilnahme an den Verbrechen entzogen oder sich ihnen widersetzt haben, bis heute nicht rehabilitiert worden.

Deutsche Soldaten sind auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bis auf weiteres keine Mörder, sondern Ehrenmänner - oder wenigstens Familienangehörige, denen schon allein deswegen mildernde Umstände zuzubilligen sind: Eine Auffassung, die die drei Gewalten im bundesdeutschen Staate eint, wie zuletzt eindrucksvoll die parlamentarischen Repräsentanten des deutschen Volkes vorgeführt haben, die im Bundestag voller Mitgefühl und behaglicher Bedächtigkeit anläßlich der Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht über den von 1939 bis 1945 währenden Dienst ihrer Väter und Großväter in der Schule der Nation debattierten, über Tapferkeit vor dem Feind, Ehre, die Treue heißt, und Partisanenjagd.

Während die Klage über die tragischen Geschicke der Deutschen und die Einfühlung in das bittere Los ihrer irgendwie nicht ganz unschuldigen, keinesfalls aber allzu schuldigen Soldaten das Bemühen, ein differenziertes Bild der deutschen Weltkriegs-Geschichte zu gewinnen, fast sechzig Jahre nach dem Überfall auf Polen den Mainstream des bundesdeutschen Kriegsverbrecher-Diskurses bestimmen, hat das Bayrische Oberste Landesgericht ein Verfahren wegen Völkermords gegen den Serben Nikola D. eröffnet: Die jüngere Weltgeschichte bedarf, soll sie sich für die Zukunft nutzen lassen, eines eher schnellen, kurzen Prozesses. D. soll im Zeitraum vom 12. April 1992 bis 25. Juni 1992 dreimal an Aktionen beteiligt gewesen sein, bei denen Muslime festgenommen, abtransportiert und erschossen worden sind. Belastet wird der Serbe ebenso wie sein gleichzeitig in Düsseldorf ebenfalls wegen "Völkermord" angeklagter Landsmann Nikola J. von Augenzeugen: Daß die Berichte der angeblich oder tatsächlich Dabeigewesenen, auch in harmloseren Fällen oft ein eher zweifelhaftes Beweismittel, gerade in den mit dem Jugoslawien-Krieg assoziierten Kriegsverbrecher-Verfahren bisweilen eher eine Fortführung des Krieges mit den Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit sind als Mittel zur Wahrheitsfindung, hat das Den Haager Tribunal in seinen Verhandlungen bereits drastisch vorgeführt. Die deutschen Ankläger schert das genausowenig, wie sie sich davon beeindrucken lassen, daß weder der zur Verfolgung der Kriegsverbrechen einberufene Internationale Gerichtshof noch Bosnien-Herzegowina selbst sich bislang darum bemüht haben, gegen Nikola D. und Nikola J. Verfahren zu eröffnen bzw. ihre Auslieferung zu beantragen - gleiches gilt auch für die 48 anderen Serben, gegen die allein der deutsche Staat ermittelt, obwohl sie weder deutsche Staatsbürger sind noch Verbrechen an Deutschen oder in Deutschland verübt haben sollen.

Der juristische Schlüssel zu dieser Intervention ist der sogenannte Weltrechtsgrundsatz, der es den deutschen Strafverfolgern ermöglicht, auch "Auslandstaten gegen international geschützte Rechtsgüter", deren eines das Verbot des Völkermordes ist, zu verfolgen. Das klingt humanitär und nach ziviler Weltgesellschaft. Tatsächlich aber ist die Assoziation mit deutschem Polizeistaat und Willkürherrschaft ähnlich überzeugend. "Völkermord" wird hierzulande schließlich schnell und überall verortet: in Tibet, Tschetschenien, Kurdistan, Palästina und Ruanda, um nur ein paar Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit zu nennen. Bemerkenswerte Möglichkeiten für die weisungsgebundene Bundesanwaltschaft, deutsche Vorstellungen von Rechtsstaatlichkeit weltweit zum Einsatz zu bringen, wo es gerade paßt.

Daß das hierzulande mit Blick auf die Nürnberger Prozesse regelmäßig vielgescholtene "völkerrechtliche Gewohnheitsrecht" so nicht gemeint ist, wissen - auch wenn sie öffentlich darüber schweigen - die deutschen Juristen. Das Nichteinmischungsprinzip setzt dem Weltrechtsgrundsatz international anerkanntermaßen Grenzen und soll gerade verhindern, was derzeit hierzulande exerziert wird: die Okkupation einer jede Grenze überschreitenden Strafgewalt. Daß dadurch nämlich weniger der Gerechtigkeit zum Durchbruch verholfen wird als vielmehr einer Ausdehnung nationalstaatlicher Einflußsphären, illustriert gerade das Beispiel dieser von Deutschland forcierten Kriegsverbrecherprozesse eindrucksvoll: Alter Wehrmachtstradition folgend, werden die verbündeten Kroaten und die befreundeten bosnischen Muslime geschont, wird die Strafgewalt allein gegen die Serben gerichtet. So wird im nachhinein die deutsche Einmischungspolitik noch durch die Justiz legitimiert.

Wie eng dabei die deutsche Rechtsprechung militärische Gewalt und Strafverfolgung verknüpft, hat der Vorsitzende Richter des Bayrischen Obersten Landesgerichts, Prießmann, am ersten Verhandlungstag seines Senats bemerkenswert offen ausgesprochen: Er räumte ein, daß es rechtsstaatliche Bedenken gegen diesen Prozeß durchaus geben könnte, allerdings müsse doch aus der Billigung des deutschen Truppeneinsatzes durch die internationale Staatengemeinschaft auf die Billigung eines juristischen Verfahrens in Deutschland geschlossen werden. Ein völkerrechtlicher Ansatz, an dem Carl Schmitt seine Freude gehabt hätte. Und Bundesanwalt Walter Hemberger, ein Jurist, der in etlichen RAF-Prozessen gezeigt hat, daß er das Prinzip des Feindstrafrechts perfekt beherrscht, wird das Seine tun, um diese Verfahren nicht an kleinlichen Beweisproblemen scheitern zu lassen. So folgt auf den Friedenseinsatz deutscher Soldaten Out of area jetzt das Kriegsgericht auf deutschem Boden. Ein bißchen Deutschland gibt es nicht. Wir haben schließlich unsere völkischen Gewohnheiten.

Dateien:

Logo Adobe PDF

1153464134.pdf(PDF Dokument, 10,17 Ki Größe)

 

Zurück zur Übersicht