Von Pinschern für Pinscher?
06.11.1996 | AutorIn: Dr. Oliver Tolmein | Recht
Veröffentlicht in: Konkret 11 / 96, S. 68: Nicht alle Rechten sind tierlieb. Und Tierquälerei schadet auch den Menschen. Das Tierschutzgesetz hilft aber nur der deutschen Schlachtindustrie. Ein Exkurs in die Welt der Rechte und der Menschen
Die beiden jungen Männer wollten den Hund ein bißchen quälen, und weil er sich weigerte, Essig zu trinken, haben sie ihn in einen vorgeheizten Gasbackofen gesperrt. Dem malträtierten Tier sprühte Maik W. dann Haarspray ins Fell und zündete es an. Weil der Hund danach immer noch lebte, wurde er mit einem Beil und einem Butterfly-Messer malträtiert, der Kadaver anschließend in die Büsche geworfen. Ob die Geschichte, mit der zwei der rechten Grevesmühlener Jugendlichen die Brandspuren an ihren Haaren erklärten, um sich so ein Alibi für den Mord an zehn Menschen in der Lübecker Hafenstraße zu verschaffen, stimmt, vor allem ob sie, für den Fall, daß sie wahr sein sollte, auch tatsächlich als Alibi taugt, kann man mit guten Gründen bezweifeln - bemerkenswert ist sie dennoch: als Beispiel dafür, wie junge deutsch fühlende und denkende Männer, wenngleich möglicherweise nur in der eigenen beschränkten Vorstellungswelt, ihren Stolz auf körperliche Überlegenheit und ihre Wut über den Mangel an Willfährigkeit des Opfers ohne jedes Mitleid in rohe Gewalt umsetzten. Daß sich das ausgelieferte Tier widersetzte, daß es den beiden Männern den Gefallen nicht erwies, Essig zu trinken, hatte seine qualvolle Ermordung zur Konsequenz. Die Ablehnung westlicher zivilisatorischer Standards, die stille Sehnsucht nach einer anderen, ordentlichen und festgefügten Gesellschaft, das Faible für den autoritären Staat und der Besitz eines Herzens für Tiere sind also auch in Deutschland keineswegs notwendig ein und dasselbe.
Nun ist es zweifellos ein böser Witz, daß gegen die beiden Grevesmühlener Dirk T. und Maik W. mittlerweile ein Verfahren wegen Tierquälerei eingeleitet worden ist, trotz aller belastenden Indizien aber wegen des Brandanschlages auf die Lübecker Asyl-Unterkunft nicht mehr gegen sie ermittelt wird. Daraus läßt sich jedoch nur einiges über das Interesse der Justiz an der Aufklärung der Morde an Flüchtlingen ableiten, wenig über die Wirksamkeit und Beschaffenheit des strafrechtlichen Tierschutzes in der Bundesrepublik. Über den klärt allerdings Albert Lorz auf, Vizepräsident des Bayrischen Obersten Landesgerichts a.D. und wichtigster Kommentator des gegenwärtig gültigen Tierschutz-Gesetzes, der in einem 1994 in der maßgeblichen Fachzeitschrift "Natur und Recht" veröffentlichten Aufsatz die Ursprünge des gegenwärtigen Rechts geradezu begeistert im Nationalsozialismus verortet: "Erst das Gesetz zur Änderung strafrechtlicher Vorschriften vom 26.5.1933 brachte den langerhofften Wandel (weg von der Bestrafung der Tiermißhandlung wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses, also der Verletzung menschlichen Empfindens, wie sie das StGB von 1871 vorsah, O.T.). Nach Paragraph 145 b StGB konnte jetzt wegen eines Vergehens bestraft werden, wer ein Tier ›roh mißhandelt oder absichtlich quält‹. Das bedeutete die Bestrafung der Tiermißhandlung als solcher und damit den Übergang zum ethischen Tierschutz. Die Sternstunde des deutschen Tierschutzrechts war gekommen. Es erfuhr - nach der Vorwegnahme des Schlachtrechts (am 21.4.33, das in Paragraph 1 das Verbot des Schlachtens nach jüdischem Ritus festschrieb, O.T.) - seine Ausprägung im (Reichs-)Tierschutzgesetz vom 24.11.1933. Nach der Amtlichen Begründung fand in diesem Gesetz ›der Gedanke Raum, daß das Tier des Tieres wegen geschützt werden muß‹. Damit war die Richtung für die spätere Entwicklung aufgezeigt."
Daß die Nazis sich dem Schäferhund und der deutschen Schlachtindustrie besonders eng verwandt fühlten, überrascht weniger als die Tatsache, daß die Frage, ob Tiere geschächtet, also ohne Betäubung getötet werden dürfen, wie es sowohl religiöse Vorschriften im Islam als auch im Judentum vorschreiben, auch heute noch ein Hauptthema der juristischen Tierschutzkontroverse vor deutschen Verwaltungsgerichten ist. Trotz dieser ruhmreichen Tradition, in der seine Verfechter das deutsche Tierschutz-Gesetz sehen, spielen aber die Paragraphen 17 und 18 des Tierschutzgesetzes, die die "rohe Mißhandlung", verschiedene Formen der Tierquälerei und das Töten eines Wirbeltiers "ohne vernünftigen Grund" unter Strafe stellen, in der Praxis derzeit keine nennenswerte Rolle. Die Verurteilung eines Sport-Anglers zu Geldstrafe wegen stundenlanger "Lebendhälterung" gefangener Rotaugen in Setzkeschern oder der Richterspruch gegen einen Hundezüchter wegen täglichen Hochbindens frisch kupierter Hundeohren - viel mehr hat die Justiz im Kampf für den Schutz des Tieres um des Tieres willen nicht zu bieten. Dortjedenfalls, wo Interessen auf dem Spiel stehen, die über die der Hobby-Tierjäger, -sammler, -züchter hinausgehen, hat der Tierschutz, wenn es überhaupt zu einem Verfahren kommt, kaum eine Chance. Zwar fügt es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung Hennen Leiden zu, wenn sie zu fünft in 41x33x50 cm kleinen Käfigen gehalten werden, die in Doppelreihen zu jeweils vier Stück übereinander gestapelt sind, die Leiden sollen aber nicht "erheblich" sein und deswegen den Tatbestand des Paragraphen 17b TierSchG nicht erfüllen.
Das Bundesverfassungsgericht, das sich auch in Sachen Menschenrechte immer wieder abwägungsbereit gezeigt hat, erklärte 1972 das Verbot, Tiere per Nachnahme zu verschicken, für verfassungswidrig, weil es lieber nicht-abgeholte Meerschweinchen, Kaninchen oder Wiesel auf Postämtern verhungern und verdursten sehen als westfälische Kleinbauern mit dem Zwang, Rechnungen einzutreiben, belasten wollte. In einem anderen, rechtspolitisch bedeutsameren Fall hat das Bundesverfassungsgericht 1994 einen Vorlagebeschluß des Verwaltungsgerichts Berlin für unzulässig erklärt - und damit einer großzügigen Auslegung des Tierschutzgesetzes, vor allem mit Blick auf die Genehmigung von Tierversuchen, Tür und Tor geöffnet.
Geklagt hatte ein Neurophysiologe, nachdem ihm von 1985 bis 1991 kontinuierlich befristete Genehmigungen erteilt, schließlich aber weitere Versuche durch die Hochschulverwaltung untersagt worden waren. Der Forscher wollte die neurophysiologischen Grundlagen des sogenannten optokinetischen Nystagmus (unwillkürliche Augenzuckungen, die durch optische Reize ausgelöst werden) erkunden. Den Versuchstieren, es handelte sich um Affen, wurde während der ersten Lebenstage ein Augenlid operativ verschlossen. Nach frühestens einem Jahr öffnete der Operateur das Lid wieder und implantierte den Tieren eine dünne Kupferdrahtspule unter die Bindehaut, die eine Messung der Augenbewegungen ermöglichte. Bei manchen Tieren wurde außerdem eine Öffnung in den Schädelknochen geschnitten, in die ein Mikroelektrodenhalter eingesetzt werden konnte: Das ermöglichte die Einführung von Mikroelektroden, die Aktivitäten auf der Hirnrinde oder in subkortikalen Strukturen messen sollten. Gleichzeitig implantierten die Forscher mehrere Schrauben fest in den Schädel, um bei den Versuchen, die über einen Zeitraum von sechs Monaten dreimal die Woche stattfanden, den Kopf des Affen an einem Gestell befestigen zu können. Nach Beendigung der mehrmonatigen Experimente wurden die Affen getötet.
Die Forschungsfreiheit, die der Wissenschaftler für sich reklamiert, erweist sich als Mittel, um eine totale Ausbeutung seiner Objekte ins Werk zu setzen; als stereotype Begründungs-Formel verwandt, dient sie dazu, auch die pure Barbarei noch als fortschrittliches Forschen nach neuen Erkenntnissen zu legitimieren. Daß er sich an Tieren schadlos hält, wird man ihm schwerlich als Menschenfreundlichkeit auslegen dürfen: Es ist pragmatische Selbstbescheidung, er nimmt als Material, was er kriegen kann. Kollegen, die zu anderen Zeiten Areale und Funktionsweisen des Gehirns erforschen wollten, haben sich, so gut es ging, auch in Haftanstalten, Behindertenheimen und psychiatrischen Kliniken ihre Opfer gesucht. "Da viele Erkenntnisse der Neurowissenschaften nur durch die Untersuchung des lebenden Gehirns gewonnen werden können, stoßen die Wissenschaften in einen Bereich vor, wo sie auf ethische und rechtliche Grenzen stoßen", schreiben die Hirnforscher Hess und Ploog in dem 1988 veröffentlichten Band Neurowissenschaften und Ethik. Ein Dilemma, das es auf vergleichbare Weise auch in anderen wissenschaftlichen Bereichen gibt und aus dem sich die Experimentatoren auf vielerlei Pfaden Auswege suchen: Die einen hantieren mit Hirngewebe, das sie Epileptikern entfernen, und versuchen, den Stoffwechsel der Zellen in Gang zu halten; andere zentrifugieren fetales Hirngewebe und versuchen auf gentechnischem Wege, Kulturen anzulegen und so die benötigten Mengen des Materials zu produzieren; wieder andere pflegen Affen an Apparaturen festzuschrauben und ihnen den Kopf für ihre Tests aufzubohren. Und die Debatte um die Bioethik-Konvention, die auch Forschung an einwilligungsunfähigen Patienten erlauben soll, dokumentiert, daß die alten Begehrlichkeiten der Wissenschaft zwar derzeit noch begrenzt werden können, daß diese Grenzen aber keineswegs dauerhaft festgelegt sind.
Ergebnisse der Forschung am Lebendobjekt sind oft genug Erkenntnisse darüber, daß diese oder jene Krankheitssymptome angeboren sein sollen, daß bestimmte Verhaltensauffälligkeiten physiologisch erklärt werden können. Aber auch Projekte wie die Transplantation von fetalen Hirnzellen ins Gehirn von Erwachsenen zur Bekämpfung von Parkinson, Alzheimer und bald wohl auch Schizophrenie verdanken wir dieser verbrauchenden Forschung. Hier soll nicht einer prinzipiellen Absage an Tierversuche das Wort geredet werden. Es reicht festzustellen, daß gerade diejenigen Fraktionen von Wissenschaftlern, deren reduktionistische und oftmals biologistische Erklärungsmodelle in besonderer Weise dazu beitragen, daß in den Industriegesellschaften der Glaube an die Optimierungsfähigkeit des Menschen das Interesse an sozialer Emanzipation erstickt, auch auf Tierversuche setzen. Das ist, wie schon Adorno und Horkheimer in der Dialektik der Aufklärung mit Blick auf die Behavioristen festgestellt haben, kein Zufall: "Daß sie auf die Menschen dieselben Formeln und Resultate anwenden, die sie, entfesselt, in ihren scheußlichen physiologischen Laboratorien wehrlosen Tieren abzwingen, bekundet den Unterschied (zwischen Mensch und Tier, O.T.) auf besonders abgefeimte Art. Den Schluß, den sie aus den verstümmelten Tierleibern ziehen, paßt nicht aufs Tier in Freiheit, sondern auf den Menschen heute. Er bekundet, indem er sich am Tier vergeht, daß er, und nur er, freiwillig so mechanisch, blind und automatisch funktioniert, wie die Zuckungen der gefesselten Opfer, die der Fachmann sich zunutze macht."
Ein ähnliches Phänomen ist im übrigen auch in der industrialisierten Landwirtschaft zu beobachten, wo die Tiere so rücksichtlos auf ihren einzigen Zweck, die Verwertung hin, produziert und am Leben erhalten werden, wie im kapitalistischen Idealfall auch die unvermeidliche Masse Mensch, die zur Mehrwertproduktion benötigt wird, eingesetzt werden sollte. Hier bricht sich eine ganz und gar nicht alternative Form der Ganzheitlichkeit Bahn, das Streben, den Zwang grenzenlos werden zu lassen und total verfügen zu können (ohne in jedem Moment auch tatsächlich total zu verfügen).
Der Aufschwung der Tierrechts-Bewegung in den 70er und 80er Jahren ist auch aus einer Protesthaltung gegen die Ausbreitung der industriellen Rationalisierung zu erklären, deren extremistische Perspektive in der Behandlung der Tiere sich so deutlich zeigt wie sonst selten. Deswegen ist es jedenfalls nicht sehr ergiebig, der Forderung nach Rechten für Tiere mit einem Hohelied auf die menschliche Vernunft, die Fähigkeit zu Bewußtwerdung, komplexer Kommunikation und Wissenskumulation zu entgegnen. Damit wird nicht nur die Dialektik der Aufklärung zu einer geradlinigen Erfolgsgeschichte verhunzt: "In Krieg und Frieden, Arena und Schlachthaus, vom langsamen Tod des Elefanten, den primitive Menschenhorden auf Grund der ersten Planung überwältigten, bis zur lückenlosen Ausbeutung der Tierwelt heute, haben die unvernünftigen Geschöpfe stets Vernunft erfahren" (Adorno/Horkheimer).
Mit dieser selbstbewußten Verweisung wird auch davon abgelenkt, daß nicht die Zuweisung von "Menschenrechten" an Primaten, so absurd sie anmutet, das Kernproblem der Auseinandersetzung um Tierschutz und Tierrechte ist. Es wird nicht viel helfen, aber ebenso nicht viel schaden, wenn auch Affen wegen ihrer Religion und ihres Geschlechts nicht diskriminiert werden dürfen, wenn ihnen Freizügigkeit zugestanden würde, das Recht auf freie Meinungsäußerung oder auf körperliche Unversehrtheit. Die Umsetzung dieser Rechte wäre zwar etwas schwierig, müßte doch zumindest jedem Tier ein Betreuer zur Seite gestellt werden, der die eventuelle Verletzung der Rechte registrieren und Änderung einklagen könnte - aber es gibt weniger skurrile Projekte, die der Menschheit weitaus gravierendere Schäden zugefügt haben, als es dieses ohnehin wohl kaum sehr erfolgreiche tun würde. Es bestünde also reichlich Anlaß zur Gelassenheit, würde die Idee etlicher Tierrechtler nicht auf etwas anderes hinauslaufen: Sie streben in erster Linie nicht die Ausweitung von "Menschenrechten" an, sondern eine Absage an die Idee der Menschenrechte. Statt Menschen, weil sie Menschen sind, grundlegende Rechte zuzuerkennen, wollen sie diese von spezifischen Qualifikationen abhängig machen: Diese Qualifikationen entsprechen denen, die Uli Krug (in KONKRET 9/96) und andere Tierrechtsgegner als Abgrenzungskriterien für den Unterschied von Mensch und Tier nehmen. Peter Singer und andere argumentieren ja gerade damit, daß Primaten und andere Tiere im Gegensatz zu manchen Menschen mit schweren geistigen Behinderungen in der Lage seien, "Selbst-Bewußtsein" zu erlangen, auf komplexe Weise zu kommunizieren und sich sogar als "distinkte Entitäten" zu begreifen.
Der Gedanke an Tierschutz wird in einem so begründeten Plädoyer für Tierrechte zur Nebensache, in den Vordergrund schiebt sich das Interesse, über eine bestimmte Kategorie von Lebewesen, auch Menschen, so frei und nach dem Kalkül des vermeintlich größten allgemeinen Nutzens verfügen zu können, wie es heute die Gegner jeder Form von Tierschutz bei Tieren schon tun. Daß diesen Überlegungen auch die Utopie einer Gesellschaft, in der es kein Leiden mehr geben soll, zugrundeliegt, dokumentiert nur, wie eindimensional das Verständnis von sozialen Zusammenhängen und vom Wert menschlichen Lebens ist. Deswegen ist in der Diskussion um Tierrechte und ihren von dem der Menschenrechte zu unterscheidenden Charakter vor allem auf die Einheit der Menschheit zu verweisen, die den Anspruch auf Gleichheit und Freiheit für jeden und jede einzelne, unabhängig davon, ob sie wie auch immer beschaffenen biologischen und intellektuellen Qualitätsanforderungen entspricht, begründet. Es gibt kein als "Tierheit" zu bezeichnendes Pendant zur Menschheit, die sich nicht allein durch die Bewußtseins-Kompetenz der Individuen auszeichnet, sondern auch durch die selbstgeschaffenen und entwickelten sozialen, eben nicht "natürlichen" Strukturen.
Gerade deswegen gibt es aber gute Gründe, die rücksichtslose Indienstnahme und Zerstörung der Natur durch den Menschen nicht einfach als notwendige Nebenwirkung des "Fortschritts" hinzunehmen. Das Wohin wird auch durch die Mittel bestimmt, die auf dem Weg dorthin verbraucht werden. Tierschutz sollte daher nicht einfach als Projekt rabiater Bioethiker oder einer biozentrischen Veganerschar abgetan werden, die es gerne wieder so wild, allerdings mit mehr Soja haben möchten, wie sie es sich z.B. beim glücklichen Tiger im Urwald vorstellen (der seinerseits die Idee eines Menschenschutzes wahrscheinlich höchst unappetitlich und überflüssig finden würde). Ein Tierschutz, der diesen Namen verdiente und der nicht vom Pinscher für Pinscher gedacht würde, wäre ein bedeutender Beweis für Zivilisation - und könnte überdies, zumindest mittelbar, auch die Verwertung des Menschen durch den Menschen erschweren.
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