"Wir sind auch da"

06.08.1991 | AutorIn:  tolmein(ad)menschenundrechte.de | Vergangenheit bewältigt

Veröffentlicht in: Konkret 08 / 91, S. 46: Die große Ausstellung zum 100. Geburtstag John Heartfields gibt Anlaß, über das defizitäre Bild nachzudenken, das der antifaschistische Künstler sich (und uns) über Deutschland und den Nationalsozialismus gemacht hat

"Das sind die Vorteile einer deskriptiven Beschreibung, sie greift hinein ins volle Nazileben, mit der Feuerzange, wie es sich gehört." (Ernst Bloch über John Heartfield und Bert Brecht, 1938)

"Dieser kleine David hat den faschistischen Goliath herausgefordert, entlarvt und der Lächerlichkeit preisgegeben." (Klaus Honnef über John Heartfield 1991)

"Heartfield war Kommunist. Diesen Aspekt seiner künstlerischen Haltung zu vernachlässigen, hieße Geschichte klittern", und wer will sich dabei schon erwischen lassen? Der Vorsitzende der Landschaftsversammlung Rheinland, Jürgen Wilhelm, lieber nicht, und so übt er sich als Geleitwort-Autor für die John Heartfield-Ausstellung, die - nach Berlin - demnächst auch in Bonn, Tübingen und Hannover zu sehen sein wird, in der Kunst des Understatements. Kommunismus als Aspekt einer künstlerischen Haltung, ach, das ist ja nur halb so schlimm, zumal in Zeiten, in denen die ehemals kommunistischen Künstler Schlange stehen, um in die staatstreuen PEN-Clubs und Akademien des Freien Westens aufgenommen zu werden. "Als Künstler war Heartfield einer der entscheidenden Neuerer. Das ästhetische Prinzip der Montage fand in ihm seinen ersten glanzvollen Meister..." Wenn der Sozialdemokrat, um sich vor der politischen Auseinandersetzung zu drücken, über Ästhetik räsonniert, kann man getrost weghören oder im Katalog weiterblättern - es lohnt nicht mal den Ärger. Ebenso wie der sozialdemokratische Versuch, den Kommunisten als Ästheten zu adeln, scheitert, erweist sich angesichts der real existierenden Collagen auch der Versuch als aussichtslos, den Feind der Putschisten des 9. November 1923 als prophetischen Wegbereiter des 9. November 1989 heim in die deutsche Volksgemeinschaft zu holen. Ein Blick auf sein Bühnenbild und das Plakat zu Bertolt Brechts "Mutter", ein zweiter auf seinen 1967 gestalteten Einband zu "100 Jahre Kapital` - 50 Jahre ohne Kapitalismus" und ein letzter auf seinen 1951 gestellten Antrag, wieder in die Partei aufgenommen zu werden, machen den ganzen Unsinn solcher nachholenden Gehorsam übenden Interpretation der Heartfieldschen Arbeit offensichtlich.

Die Ausstellung zum 100. Geburtstag John Heartfields läßt einen nicht deswegen eher unzufrieden zurück, weil ihre Räume phantasielos gestaltet sind oder Erläuterungen einzelner Arbeiten ebenso fehlen wie Hinweise auf das politische und künstlerische Umfeld, in dem sie produziert wurden (sieht man von einigen Erläuterungen zur Dada-Zeit ab). Irritierender wirkt heute Heartfields Werk selber. Es ist leider nicht völlig abwegig, daß Peter Pachnicke und Klaus Honnef, die die Ausstellung konzipiert haben, an das Ende ihres Vorwortes zum Katalog das folgende Zitat aus dem von Kurt Tucholsky geschriebenen und von John Heartfield (foto-)montierten Buch "Deutschland, Deutschland über alles" setzten: "Es ist nicht wahr, daß jene, die sich national nennen und nichts anderes sind als bürgerlich-militaristisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben ... Wir sind auch da ... Man hat uns zu berücksichtigen, wenn man von Deutschland spricht ... Deutschland ist ein gespaltenes Land. Ein Teil von ihm sind wir. Und in allen Gegensätzen steht - unerschütterlich, ohne Fahne, ohne Leierkasten, ohne Sentimentalität und ohne gezücktes Schwert die stille Liebe zu unserer Heimat."

John Heartfields Deutschland besteht bis zuletzt aus kleinen Männern und großen Führern, aus verelendeten Verführten und furchtbaren Führern. Es ist ein Deutschland, in dem Opfer und Täter klar voneinander geschieden sind. "Das letzte Stück Brot raubt ihnen der Kapitalismus", titelt er über einem Wahlplakat der KPD 1932, das ein mangelernährtes Kind mit großen, traurig blickenden Augen zeigt; "Kleiner SA-Mann was nun?" fragt er kurz darauf auf einem Titelblatt der "Arbeiter Illustrierten Zeitung", nachdem Georg Strasser von Hitler "beurlaubt" worden war; "Weil er sich aufs Programm der NSDAP berief" ist ein bereits im Prager Exil verfertigtes Motiv überschrieben, das einen SA-Mann zeigt, der von SS-Soldaten abgeführt wird: Daß nicht nur die Wähler, sondern selbst Angehörige der SA eigentlich eher Sozialisten als Nationalisten seien, verirrte Klassenkämpfer, die es über ihren Irrtum aufzuklären und auf den rechten linken Weg zu bringen gelte, prägt fast alle seine Arbeiten. Zwischen dem AIZ-Titelbild nach der Reichstagswahl 1930, das die "6 Millionen Nazi-Wähler" als "Futter für ein großes Maul" sieht, und dem 1938 in der "Volks-Illustrierten" gedruckten Motiv "Sudetendeutsche, euch trifft es zuerst", das einen von NS-Soldaten bedrohten Bauern zeigt, der seine Scholle pflügt, hat sich Heartfields Perspektive nicht verändert. Zwar tragen Nazis nicht mehr, wie noch 1930 der "große Fisch", das Dollarzeichen auf dem Rücken, dafür greift er in Arbeiten wie dem 1935 veröffentlichten "Klumpfüßchens Wunschtraum" umstandslos die martialische Ästhetik der Nazis auf und gefällt sich darin, einem verkrüppelten, armselig gestalteten Goebbels metergroße, bolschewistische Hünen entgegenzustellen: Die "degenerierten Untermenschen", biologisch minderwertig, so die nicht mißzuverstehende Botschaft, sind die Nazis selber.

Schon Jahre bevor die NSDAP tatsächlich an die Macht gekommen ist, und immer eindringlicher nach der Wahl Hitlers zum Reichskanzler, insistiert Heartfield, daß Faschismus Krieg zur Folge hat. Die Nationalsozialisten als Kriegsherren treten bei ihm in Gestalt zähnefletschender Raubfische, als bluttriefende Henker, als geifernde Werwölfe und die Welt in Besitz nehmende, feiste Phantasiegestalten auf; mit ihrem Kriegsgerät und ihren Finanziers aus der Industrie füllt Heartfield die Titelbilder und Flugblätter der Exilzeitschriften. Seine Montage "Der Krieg", die Hitler auf einem zu Tode erschöpften Pferd durch eine Landschaft verkrümmter Leichen reitend zeigt, über der am Himmel ein wetterleuchtendes Hakenkreuz schwebt, entwickelt 1933 eine Vision vom Weltkrieg, die an Goyas Alptraumbilder gemahnt: Es ist keine politische Propaganda gegen den Krieg mehr, sondern die entsetzte Erkenntnis, daß er geführt werden und wie er sein wird.

So erbittert und klar Heartfield in seinen Bildern den Willen und die Bereitschaft der Nazis zum Krieg zeigt, so selten und eigentümlich leidenschafts- und phantasielos macht er den Antisemitismus, die Pogrome und den Rassismus zum Thema. Während gemarterte Arbeiter in zahlreichen seiner Montagen zu sehen sind und er "Den katholischen Opfern des Faschismus zum Gedenken! Allen katholischen Männern und Frauen zur Mahnung!" 1937 immerhin ein Titel-Bild in der "Volks-Illustrierten" gestaltet, reagiert er auf die "Sterilisations-" und "Euthanasie"-Aktionen der Nazis überhaupt nicht. So sind denn in der Ausstellung auch gerade mal zwei eher verharmlosende Motive zur antisemitischen Ausgrenzungs- und sich ankündigenden Vernichtungspolitik zu sehen - das 1934 entstandene "Gespräch im Berliner Zoo" und die 1939 verfertigte Collage "Jews driven like cattle". In dem "Gespräch im Zoo" witzeln ein Storch und ein Schimpanse angesichts der antisemitischen Kampagnen im "Stürmer", Juden würden demnächst wohl auf Kirchtürme gestellt, weil sie hervorragende Blitzableiter seien; die für die englischen "Reynold News" erarbeitete Collage "Jews driven like cattle" zeigt den Reichsführer SS Himmler, der über einer in einem Gatter zusammengepferchten Menschenmenge seine Peitsche schwingt.

Mit seinen antifaschistischen Fotomontagen hat Heartfield eine aus den Fugen geratende bürgerliche Welt ins Bild und neu zusammengesetzt, er entstellt sie zur Kenntlichkeit. Gleichzeitig lenkt er aber den Blick vom Wesen des Nationalsozialismus ab. Klaus Honnef, der in seinem Aufsatz "Symbolische Form als anschauliches Erkenntnisprinzip" versucht hat, den Künstler Heartfield zu entdecken, um den Kommunisten vergessen zu können, behauptet: "Indem Heartfield die reportagehaften Züge in seinen Montagen zunehmend tilgte, entband er sie jeder temporären Zufälligkeit und steigerte sie - sub specie seiner politischen Ansicht - zu allgemein gültigen bildnerischen Metaphern, in denen sich das vermeintliche Gesetz der Geschichte anschaulich vollzog." Das ist, auf Heartfields Werk insgesamt bezogen, ein frommer Wunsch und damit Unfug: Ihre Schärfe gewinnen Heartfields Montagen gerade daraus, daß sie konkretes Material verarbeiten, die Schriftzüge des "Vorwärts" z.B. oder zensierte Bilder einer Ausstellung. Bezogen auf den Faschismus hat Honnef allerdings, zumindest teilweise, recht - und das macht die Schwäche des Bildes vom Nationalsozialismus aus, das Heartfield entwirft: Seine einzigartigen Verbrechen verschwinden in den "allgemein gültigen bildnerischen Metaphern".

Das ist dem Künstler anzulasten - obwohl er damit ganz dem kommunistischen Geist seiner Zeit entsprach. Daß aber auch heute diese politische Begrenztheit der Heartfieldschen Arbeit nicht thematisiert (sondern stattdessen im Katalog mit viel Sorgfalt und Mühe Heartfields Kritik an der SPD als falsch entlarvt wird), daß sie vielmehr noch immer Orientierungspunkt und das oft (und meistens schlecht) kopierte Leitbild linker Agitations-Kunst ist, macht den Sinn dieser Ausstellung zu dieser Zeit fragwürdig. Nichts brauchen wir im Augenblick weniger als neue und dazu noch linke Klassiker.

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